Lesende Frau im Pelmantel auf Kiste
Poetenpack © sevens[+]maltry

Synthese zwischen Heute und Morgen

Das Potsdamer Theater Poetenpack zeigt anlässlich des Themenjahres das Theaterstück FRANZISKA LINKERHAND nach dem Roman von Brigitte Reimann.  Der szenische Beitrag feiert am 24. März 2023 Premiere auf der Zimmerbühne Potsdam.

Ein Text von Willi Händler, Theater Poetenpack

Brigitte Reimanns und die Architektur

Mit einer Spielfassung nach Brigitte Reimanns Roman „Franziska Linkerhand“ beteiligt sich das Potsdamer Theater Poetenpack an der Diskussion zum Themenjahr „Baukultur leben – Kulturland Brandenburg 2023“. Ein Blick zurück, so scheint es, denn das zentrale Geschehen des Romans spielt Anfang der 1960er Jahre, kurz nach dem Bau der Mauer. Den Staat, in dem die junge Architektin Franziska gegen starre Strukturen und ökonomische Zwänge kämpft und ihre Träume und Ideen verwirklichen will, gibt es heute nicht mehr. Doch das Erbe dieser Epoche, eingebunden in historisch Gewachsenes, prägt noch unverkennbar die Städte und Landschaften der ehemaligen DDR.

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Am 11. November 1963 schrieb Brigitte Reimann in ihr Tagebuch: „Heute habe ich das Buch ‚Franziska‘ begonnen.“ Schon frühere Notizen belegen ihr Interesse an Themen der Architektur und den materiell gestalteten Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie erinnert sich an ein Gespräch mit zwei Studenten. „Wir sprachen darüber, wie denn eine soz. Stadt aussehen muss, wie weit ein soz. Leben abhängig ist von den Räumlichkeiten, die für Begegnungen geschaffen werden.“ Die Erkenntnis, dass eine gebaute Umwelt von hoher Qualität wesentlich zur Bildung einer nachhaltigen Gesellschaft beiträgt, thematisierte Brigitte Reimann also schon 1963.

Eine intensive Freundschaft verband sie mit Professor Hermann Henselmann, der als prägender Architekt sozialistisch-klassischer Bauten und Baumeister moderner Hochhäuser berühmt geworden ist. Sie nahm in Kauf, dass der von der Nomenklatura höchst widersprüchlich behandelte Künstler, der prominente Bauaufträge verwirklichen durfte, gleichzeitig aber „als politisch gefährlich, fachlich uninteressant, eine schillernde Seifenblase“ diskreditiert wurde. Henselmann hatte mit Blick auf die Industrialisierung der Baukultur von der „Diktatur der Unbegabten“ gesprochen und sich damit heftige Kritik eingefangen. Zwar relativierte er seine harte Position, doch die Dichterin Reimann vermerkte mit Blick auf ihr eigenes Metier dazu: „Mir scheint aber, H. hat recht, wenn er sagt, wir brauchen alle diese durchschnittlichen Architekten …, jedoch dürfe man dies alles nicht als Baukunst bezeichnen. Ich finde viele Parallelen zu unseren Sorgen mit der Literatur.“

Die Arbeit am Roman

Sitzende Frau und stehender Mann hinter Kiste
Poetenpack © sevens[+]maltry

Brigitte Reimann lebte in den 1960er Jahren in Hoyerswerda und konnte hautnah das Projekt „2. Sozialistische Großstadt“ verfolgen, mit Wohnbauten in Großblockbauweise, mit acht- bis elfgeschossigen Plattenbauten. In einem Brief an Henselmann schrieb sie: „Mir bereitet es physisches Unbehagen, wenn ich durch die Stadt gehe – mit ihrer tristen Magistrale, … mit Typenhäusern, Typenläden, … mit Typenlokalen, die nach Durchgangsverkehr und Igelit riechen … das Thema liegt mir auch deshalb am Herzen, weil mein nächster Held Architekt sein wird, und nun versuche ich … zu erfahren, wieweit die Architektur einer Stadt das Lebensgefühl ihrer Bewohner zu prägen vermag, und mir scheint, sie trägt in gleichem Maße zur Seelenbildung bei wie Literatur und Malerei, Musik, Philosophie und Automation … .“

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Zehn Jahre arbeitete Brigitte Reimann an dem Roman „Franziska Linkerhand“, der anfangs wohl als Entwicklungsroman geplant war. Das Prinzip Hoffnung scheint die junge Frau als Studentin der Architektur noch zu beflügeln. Hier taucht Reimanns geliebter Professor H. als Figur des Romans auf. Gerade hat der mit Franziska und einem Kreis begabter Diplomanden die Sprengung der im Krieg ausgebrannten Ruine des Gewandhauses verhindert und mit hohem Einsatz einehistorische Rekonstruktion errichtet. Die Gelegenheit, als Assistentin ihres Professors Karriere zu machen, Preise in internationalen Ausschreibungen zu gewinnen, schlägt Franziska aus. Sie wolle sich „ … im Städtebau umtun … irgendetwas Neues beginnen.“ An einem Projekt „Neustadt“, einem der vielen in der Republik, wolle sie mitarbeiten.

„Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um!“ Der Kommentar des enttäuschten Professors schreckt sie nicht ab. „Das ist ein Wagnis, von dem die großen Architekten geträumt haben …“ lässt Reimann ihre Romanheldin schwärmen. „Eine neue Stadt bauen, ein paar hundert Hektar Land, auf denen man eine städtebauliche Idee verwirklichen kann – und wem hat man je eine solche Chance geboten? Niemeyer mit seinem Brasilia, Corbusier, den Kiruna-Leuten … Und Schafheutlin mit Neustadt.“ Schafheutlin, mit diesem Namen sind wir auf der Baustelle und bei den realen Widersprüchen angekommen. Der scheidende Bauleiter Landauer hatte gehofft, „… eine Stadt zu bauen, die ihre zwei oder drei Generationen nicht nur behaust – eine Stadt, die ihnen mehr bietet als einen umbauten Raum, in dem man Tisch und Bett aufstellen kann.“ Franziskas neuer Chef Schafheutlin holt sie runter auf den Boden der Realität: „Wenn Sie der Auffassung sind, dass Neustadt ein Experimentierfeld ist, dann revidieren Sie diese Auffassung. Wir haben nur eine Aufgabe: Wohnungen für unsere Werktätigen zu bauen, so viele, so schnell, so billig wie möglich.“

Eine Utopie über das konkrete Scheitern

Anstrengend und bisweilen grotesk sind die Erlebnisse Franziskas bei ihren Versuchen, auf der Baustelle sich als selbst Handelnde und nicht nur Funktionierende im System zu finden. Deutlich zuverfolgen ist, wie sich die wachsende Enttäuschung der Autorin über den real existierenden Sozialismus auch im Roman niederschlägt. In ihrem Tagebuch notiert sie 1965: „Ich bin so bitter, manchmal voller Haß – und ohnmächtig.“ Aber auch Momente der Hoffnung leuchten auf. Nach einem Telefongespräch mit Henselmann, von dem sie sich lange schon emanzipiert hat, schreibt sie: „Ein großes Herz und ein weiter Blick – nach vorn, immer nach vorn. Die zwei großen Probleme der Zukunft: Die Menschheit ernähren und behausen. Städtebau in hundert Jahren. Er gibt mir immer wieder die Linie, die richtige Marschroute.“ So lässt Franziska am Ende des Romans über das konkrete Scheitern hinaus eine Utopie aufleuchten: „Es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden.“

Die Arbeit am Stück

Mann in der Mitte einer Bühne zwischen zwei Kisten
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Unter der Regie von Gislén Engelmann suchen Marianna Linden, André Kudella und Peter Wagner im Spiel mit dem Text des Romans nach dieser Spur, die nach vorne führt. Die Geschichte der scheiternden Architektin Franziska Linkerhand ist zugleich eine Erzählung von gesellschaftlichen Utopien und Aufbauträumen. Die Inszenierung lädt das Publikum ein, das Bauen erneut als Instrument, als Ausdrucksform zur Gestaltung des Sozialen wahrzunehmen und einzufordern.

Einen Theaterabend mit einer Diskussion zu Baukultur vor Ort kombinieren – diese Möglichkeit wollen der Förderverein Baukultur Brandenburg e. V. und das Theater Poetenpack ergänzend zum Theaterstück anbieten. Nach der Aufführung kann mit regionalen Akteuren und dem Publikum über ein aktuelles Thema lokalen oder regionalen Bauens bzw. der Stadt- und Ortsentwicklung diskutiert werden.

Kontakt

Theater Poetenpack

Telefon 0331 951 22 43
Mail info@theater-poetenpack.de
Web www.theater-poetenpack.de