Werkstattgespräch #3: Familie an Board?!

Gemeinsam Zugänge zu kultureller Teilhabe schaffen

Ein Rückblick auf das Werkstattgespräch der Beratungsstellen „Kultur macht stark“ Brandenburg und Rheinland-Pfalz am 18. September 2025

Wie erreichen wir die Familien von Kindern und Jugendlichen in Risikolagen mit kulturellen Bildungsangeboten? Das digitale Werkstattgespräch „Familie an Board?!“ am 18. September 2025 stellte diese zentrale Frage in den Mittelpunkt. Expert:innen aus Praxis und Wissenschaft erkundeten gemeinsam mit Kita-Trägern, Schulen, Fördervereinen und Akteuren der Kulturellen Bildung, wie Brücken gebaut werden können zwischen Bildungseinrichtungen und Familien als zentralem Bildungsort von Kindern.

Denn kulturelle Bildung führt zu mehr Teilhabe, kreativer Entwicklung und chancengerechter Bildung von Anfang an. Doch dieses Potenzial entfaltet sich nur, wenn Familien nicht nur als Zielgruppe, sondern als aktive Partner verstanden werden.

Die Ausgangslage: Kulturelle Teilhabe bleibt vielen verwehrt

Die Werkstatt begann mit einer klaren Diagnose: 67 Prozent aller Eltern mit geringem Haushaltsnettoeinkommen können ihren Kindern außerschulische kulturelle Angebote gar nicht oder nur sehr eingeschränkt ermöglichen. Bei Alleinerziehenden steigt dieser Wert sogar auf 73 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen eine fundamentale Ungerechtigkeit: Kulturelle Bildung bleibt vielen Familien verwehrt. Kinder aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Familien sind deutlich unterrepräsentiert. Und das nicht, weil ihnen kulturelle Angebote keinen Spaß machen würden, sondern weil sie überhaupt nicht in die Lage versetzt sind, dies festzustellen.

Vom Defizit zum Empowerment: Ein notwendiger Paradigmenwechsel

Lange Zeit wurde Familienbildung aus einer Defizitperspektive gedacht: Familien in schwierigen Lebenslagen sollten „aufgeholt“ und „kompensiert“ werden. Zeitgemäße Ansätze der kulturellen Familienbildung setzen hingegen auf Empowerment und Ressourcenorientierung. Erfolgreiche Programme beziehen Familien nicht als passive Empfänger ein, sondern als aktive Mitgestalter kultureller Bildungsprozesse. Sie setzen dort an, wo Familien leben und ihren Alltag gestalten. Sprachliche und kulturelle Bildung geschieht in alltäglich wiederkehrenden Situationen – während der Mahlzeiten, in freien Spielsituationen, in gezielten Angeboten der Kita und in der Geborgenheit der Familie.

Impulse aus dem Netzwerk: Familie als Bildungsraum

Barbara Lindemann und Wilhelm Klein vom Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung gaben wichtige Impulse zur Frage, wie Familien in die frühkindliche kulturelle Bildung einbezogen werden können. Ihre zentrale Botschaft: Familien gehören zu den primären Bildungsräumen von Kindern.

Lindemann und Klein machten deutlich, dass es nicht ausreicht, Familien gelegentlich zu Projektpräsentationen einzuladen. Echte Einbeziehung bedeutet, Familien von Anfang an in die Konzeption von Angeboten einzubinden, ihre Bedürfnisse, Interessen und Ideen ernst zu nehmen und kulturelle Bildung an die Lebenswelt der Familien anzuknüpfen. Eltern werden nicht belehrt, sondern als Expert:innen für ihre Kinder anerkannt.

Aus der Praxis: MitMachMusik als Brücke zu Familien

Holger Marzahn von MitMachMusik Brandenburg – ein Weg zur Integration e.V. berichtete aus der konkreten Arbeit mit Familien. Das Projekt zeigt exemplarisch, wie niedrigschwellige musikalische Angebote Brücken bauen können zwischen Bildungseinrichtungen und Familien mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen.

MitMachMusik wurde mit unterschiedlichen Projekten bei „Kultur macht stark“ gefördert und setzt auf gemeinsames musikalisches Erleben von Kindern, Eltern und Fachkräften. Musik als universelle Sprache überwindet dabei Sprachbarrieren und schafft Momente der Begegnung, in denen Eltern ihre Kinder in neuen Rollen erleben und Kinder ihre Eltern als kreative Menschen sehen. Im Umgang mit dieser alltäglichen Vielfalt können Kinder bei sich und anderen besondere Stärken entdecken.

Marzahns Erfahrungen zeigen: Solche Ansätze stärken nicht nur die familiären Bindungen und das Selbstvertrauen aller Beteiligten, sondern ermöglichen auch Familien den Zugang zu kultureller Bildung, die sonst kaum erreicht werden.

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Mit Kooperationen niedrigschwellige Zugänge schaffen

Die Werkstatt beleuchtete erfolgreiche Kooperationsmodelle. Oft liegen z. B. öffentliche Bibliotheken und Kindertagesstätten in guter Nachbarschaft nah beieinander. Vor allem in kleineren Orten gehören sie zur Grundversorgung für junge Familien und ergänzen sich – im besten Falle – in ihren Aufgaben. Solche lokalen Netzwerke sind Schlüssel für erfolgreiche Familienarbeit. Besonders hervorgehoben wurde die Brückenfunktion sozialer Träger. Sie erreichen Familien dort, wo andere Institutionen oft nicht hinkommen. Die Zusammenarbeit zwischen Kitas, Bibliotheken, Familienbildungsstätten und Wohlfahrtsverbänden ermöglicht niedrigschwellige Zugänge. In Brandenburg dokumentiert die starke Präsenz des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands in „Kultur macht stark“, dass soziale Träger eine wichtige Brückenfunktion übernehmen.

Beziehungsarbeit: Zeit als Investition

Vertrauen aufzubauen braucht Zeit – gerade mit Familien, die negative Erfahrungen mit Institutionen gemacht haben oder aufgrund von Sprachbarrieren, finanziellen Sorgen oder kultureller Distanz nur schwer erreicht werden. Schnelle Projekterfolge sind weniger nachhaltig als langfristige Beziehungsarbeit. Kulturelle Bildung mit Familien braucht Geduld, Kontinuität und die Bereitschaft, sich auf unterschiedliche Lebenswirklichkeiten einzulassen. Das Bündnismodell von „Kultur macht stark“ unterstützt genau diesen Ansatz: Lokale Akteure kennen den Sozialraum, verstehen die Lebenswirklichkeit der Familien und können nachhaltige Beziehungen aufbauen.

Family Literacy: Gemeinsam lernen, gemeinsam wachsen

Besonders lebhaft diskutiert wurden Ansätze wie „Family Literacy“ oder „Family Learning“, die Bildung als gemeinsamen Prozess von Kindern und Eltern verstehen. Wenn Eltern und Kinder zusammen Geschichten erzählen, Musik machen, Theater spielen oder künstlerisch gestalten, entstehen besondere Momente der Begegnung. Eltern erleben ihre Kinder in neuen Rollen, Kinder sehen ihre Eltern als kreative Menschen. Solche Erfahrungen stärken nicht nur die familiären Bindungen, sondern auch das Selbstvertrauen aller Beteiligten.

Diversität als Normalität: Alle Familienformen mitdenken

Ein weiteres Thema der Werkstatt war die Frage nach diversitätssensibler Gestaltung kultureller Angebote. Familien in Brandenburg sind vielfältig: Alleinerziehende, Patchwork-Familien, Familien mit Migrationsgeschichte, Regenbogenfamilien, Mehr-Generationen-Haushalte. Programme müssen diese Vielfalt nicht nur tolerieren, sondern aktiv wertschätzen und als Ressource nutzen. Einer ernst gemeinten kulturellen Teilhabe muss, statt eines homogenen, sich exklusiv auswirkenden Kulturbegriffs, das Konzept kultureller Vielfalt zugrunde liegen. Die Diversität der Kindergemeinschaft sollte sich in der Auswahl und Gestaltung kultureller Bildungsangebote widerspiegeln und an die vielfältigen Lebens- und Erfahrungswelten der Kinder und ihrer Familien anknüpfen.

Wir danken für die Zusammenarbeit

Kontakt

Tabea Herrmann

Beratungsstelle „Kultur macht stark“ Brandenburg
Tabea Herrmann
kumasta@gesellschaft-kultur-geschichte.de
Telefon +49 331 58 250 120
www.kulturmachtstark-brandenburg.de