Vier Frauen gucken auf ein Blatt und stehen dabei im verschneiten Park
Frankfurt Oder Halbe Stadt © sevens[+]maltry

HALBE STADTansichten

Die Stadt Frankfurt (Oder) ist in vielerlei Hinsicht baukulturell herausragend. Die massiven Zerstörungen zum Ende des Zweiten Weltkrieges und die städtebaulichen Eingriffe der DDR-Zeit prägen das Stadtbild bis heute. Doch was passiert hinter den Kulissen, wie leben die Menschen heute mit dem Erbe der sozialistischen Stadtplanung? Das Projekt „HALBE STADTansichten“ befragt Bewohner:innen und Künstler:innen zu ihren Zukunftsvorstellungen.

Die baulichen Spuren des Sozialismus

In Frankfurt (Oder) hat der Sozialismus baulich sehr deutliche Spuren hinterlassen. Gerade im Stadtzentrum fällt es schwer, diese zu übersehen. Die historische Altstadt wurde 1945 großflächig zerstört und bot viel Platz für moderne Visionen: die breite Magistrale, der große Brunnenplatz, der hohe Oderturm mit Einkaufspassagen und eine postmoderne Fußgängerzone prägen heute das Stadtbild. Darüber thronen Wohnblöcke, aufgrund des visuellen Eindrucks der verbundenen Scheibenhochhäuser auch als Stadtmauer oder Stadtkrone bezeichnet: der Wohnkomplex Halbe Stadt.

Mit diesem auf dem Oderhang, über Stadtzentrum und Grenzbrücke gelegenen Wohngebiet, seiner Historie, Nutzung und Identität, beschäftigt sich das Ausstellungsund Vermittlungsprojekt „HALBE STADTansichten“. Dabei erschließt das Projekt gemeinsam mit Anwohner:innen verschiedene Facetten des städtischen Raumes.

Das Besondere der "Halben Stadt"

Straßenzug mit Ampel
Frankfurt Oder Halbe Stadt © sevens[+]maltry

Baukulturell weist der Wohnkomplex typische Merkmale von Großwohnsiedlungen der DDR auf: die Wohngebäude sind unter anderem in der weit verbreiteten Typenserie P2 errichtet und die Kaufhallen und Schulen des Typs Erfurt sind andernorts in Ostdeutschland auch heute noch zahlreich zu finden. Ein eigenes Komplexzentrum mit zusätzlichen Geschäften und Dienstleistungen erhielt das Wohngebiet nicht. Denn – hier liegt eine Besonderheit – die Stadtplaner:innen konzipierten es in enger funktionaler und infrastruktureller Verzahnung mit dem anliegenden Stadtzentrum. Und zwar auch deshalb, um das noch kriegsgeschädigte Zentrum zu stärken und zu beleben. Der Name Halbe Stadt, angelehnt an den gleichnamigen östlichen Straßenzug, ist in Bezug auf die Innenstadt fast wörtlich zu verstehen, denn sie bot Platz für mehr als 8.000 Menschen.

Weitere Informationen zum Projekt "HALBE STADTansichten"

Platte und Altbau direkt nebeneinander

Gleichzeitig sollte das Bauprojekt am exponierten Standort eine willkommene Gelegenheit sein, die Silhouette Frankfurts „sozialistisch“ umzugestalten, wenn nicht gar zu überformen. Dass das ambitionierte Bebauungsprojekt mit ausschließlich vielgeschossigen Gebäuden wie geplant umgesetzt werden konnte, war angesichts wirtschaftlicher Engpässe und Materialknappheit in der DDR keine Selbstverständlichkeit.

Im Vergleich mit anderen Frankfurter Großwohnsiedlungen wie z. B. Neuberesinchen hat die Halbe Stadt noch weitere Alleinstellungsmerkmale. An keinem anderen Ort in der Stadt sind sozialistische Neubauten und gründerzeitliche Altbauten in so enger Nachbarschaft zu finden: Platte neben Neorenaissance, Klassizismus und Moderne, Block hinter Kirche und Gestift. Die vielfältigen Kontraste, die schon damals ein populäres Postkartenmotiv waren, prägen das Gebiet bis heute. Eine weitere Besonderheit ist der umfangreiche alte Baumbestand. Beim teilweisen Bebauen des alten Friedhofs, heute Kleistpark, wurde für damalige Verhältnisse außergewöhnlich viel Grün erhalten – keine leichte Aufgabe für die schwerfälligen Kräne. Mit diesem Projekt galt Frankfurt (Oder) als Vorreiter im Baumschutz.

Ein Blick hinter die Kulissen

Wie kein anderes eignet sich dieses Gebiet, um den baukulturellen Wandel und verschiedene Zeitschichten zu diskutieren. Es ist die einzige Großwohnsiedlung der Stadt, in der nach 1989 keine Wohnungen abgerissen wurden. Die zentrale Lage und wichtige infrastrukturelle Funktion bewahrten es vor dem Abbruch im Rahmen des Stadtumbau Ost. Aber das Gebiet hat sich dennoch verändert. Weniger junge und mehr alte Menschen, Verfall und Sanierung von Gebäuden, weniger Gemeinschaft und mehr Zugezogene? So scheint es auf den ersten Blick, aber auf den zweiten? Das Projekt „HALBE STADTansichten“ wirft einen Blick hinter die Fassaden, ermittelt im Dialog Einsichten in das Leben in diesem Stadtviertel und fragt nach Aussichten für die Zukunft.

Welche Erinnerungen und Geschichten verbinden die Menschen mit der "Halben Stadt"?

Frankfurt Oder Halbe Stadt © sevens[+]maltry

Welche Erinnerungen und Geschichten verbinden wir mit städtischen Räumen? Welche Akteur:innen prägten die Entwicklung der Räume und warum? Welche Gestaltungsmöglichkeiten haben wir selbst? Und wie wandelt sich ein Raum und seine Nutzung im Verlauf der Zeit?“ Das interdisziplinäre Ausstellungsprojekt vertieft diese Aspekte der Baukultur und verleiht damit einem einzigartigen, sogar untypischen Baustein des Städtebaus der DDR und Frankfurts Kontur.

Zwei neue Ausstellungen in diesem Jahr

Über einen Zeitraum von einem Jahr werden Informationen zu dem Wohngebiet Halbe Stadt vermittelt, erarbeitet und verarbeitet sowie in einen Zusammenhang mit bereits gewonnenen Erkenntnissen gebracht. Beginnen wird das Projekt im Mai 2023 mit einer Ausstellung zur Baugeschichte der Halben Stadt im Mehrgenerationenhaus MIKADO, einem sozialen Treffpunkt des Quartiers und Träger sozial-integrativer Angebote. Workshops mit Anwohnenden und ortsansässigen Kooperationspartner:innen zu Nutzungstransformationen und Gestaltungsmöglichkeiten im Stadtraum flankieren diese Ausstellung. Die dabei gesammelten Informationen, Geschichten, Erfahrungen sowie Materialien werden dann die Ausstellung zur Entstehungsgeschichte ergänzen und somit eine Verbindung zur Gegenwart schaffen. Der partizipative und mehrstufige Ansatz des Ausstellungsprojektes ermöglicht es, das Thema kontinuierlich über das gesamte Themenjahr mit unterschiedlichen Formaten nicht nur zu erzählen, sondern vor allem auch zu erschließen und dabei neue Brücken zur Stadtgesellschaft zu bauen.

Im öffentlichen Raum und im Städtebau spielt Kunst keine unbedeutende Rolle – auch und gerade in der zu DDR-Zeiten repräsentativen Bezirkshauptstadt Frankfurt (Oder). Öffentliche Kunst kann den städtischen Raum formen, Impulse setzen und ihm neue Bedeutungen verleihen. „Welt der Kinder – Kinder der Welt“, so lautet das übergeordnete Motto der Kunst im Wohngebiet Halbe Stadt. Neben Känguru und Giraffe finden sich hier bunte Mosaike, Plätze und Brunnen. Das Projekt „HALBE STADTansichten“ bietet Gelegenheit, dieser Kunst und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen.

Um Kunst eine Platte machen

Auch in der zentralen Frankfurter Fußgängerzone Große Scharrnstraße nutzten Stadtplaner:innen sowie Künstler:innen Ende der 1980er Jahre die Möglichkeiten der Kunst und schufen einen einzigartigen, vielfältigen und überraschenden Ort im Zentrum der Oderstadt. Die 2021 gezeigte Ausstellung „Um Kunst eine Platte machen“ thematisierte bereits diese Form der Baukultur. Sie hinterfragte die Funktion der Kunst in einem Stadtraum, ihre Beziehung zur Architektur, ihre Entstehungsgeschichte zwischen öffentlichem Auftrag und individueller Umsetzung im DDR-Kontext sowie die Nutzungstransformationen nach 1989.

Herbst 2023

Zum Abschluss des Themenjahres wird im Herbst 2023 die Ausstellung „HALBE STADTansichten“ mit der Ausstellung „Um Kunst eine Platte machen“ in der St.-Marien- Kirche, einem zentralen Ausstellungsraum der Stadt zusammengeführt, um die verschiedenen Facetten der Frankfurter Baukultur zu zeigen. Die (bau)kulturelle Vielschichtigkeit, zentrale Lage und Geschichte des soziokulturellen Zentrums – die Kirche etablierte sich in der späten DDR zu einem zentralen Ausstellungsraum – bilden dabei einen spannenden Rahmen für die Darstellung dieser Bausteine der städtischen Baukultur.

Kontakt

Kulturbüro Frankfurt (Oder)

Telefon 0335 553 783 35
Mail magdalena.scherer@kultur-ffo.de
Web www.kulturbuero-ffo.de