Ästhetische Forschungen mit Schwimmbadkunst

Die Kunstlehrerin Claudia Schümann hat erstmals am Gymnasium in Hennigsdorf einen Seminarkurs im Bereich Kulturelle Bildung angeboten – und dadurch im System Schule viel Öffnung geschaffen

Text von Grit Weirauch, Bilder von Claudia Schümann

Die Ausgangslage: Die Stadt Hennigsdorf lässt ein Schwimmbad bauen. Es werden Gelder von der Stadt verteilt, jeweils 1000 Euro für Materialien und Koordination, damit Hennigsdorfer Schulen zur Eröffnung des Bades im September 2023 Schwimmbadkunst präsentieren.
Claudia Schümann ist Kunst- und Deutschlehrerin am A. S. Puschkin-Gymnasium in Hennigsdorf und möchte mit ihren Oberstufenschüler:innen an dem Projekt teilnehmen. Sie wird dazu in der Oberstufe ihrer Schule einen fakultativen Seminarkurs anbieten. Der Titel: „Ästhetische Forschung“.
Ein Seminarkurs ist eine Art freiwilliges berufsorientiertes und wissenschaftliches Propädeutikum. Über zwei Schuljahre lang in zwei Wochenstunden werden die Oberstufenschüler:innen im Rahmen des Seminarkurses in Kooperation mit dem Künstlerpaar Igor Jerschov und Christine Gersch aus Glienicke Schwimmbadkunst gestalten.
Die Plattform Kulturelle Bildung unterstützt solche Seminarkurs-Angebote im Bereich der Kulturellen Bildung. Allerdings nicht dauerhaft als Standard-Kurs an einer Schule, sondern in Form einer einmaligen finanziellen Förderung.

Seminarkurse

Seit dem Schuljahr 2012/2013 können die brandenburgischen Schulen mit gymnasialer Oberstufe Seminarkurse anbieten. Die Seminarkurse dienen dem wissenschaftlichen und praxisorientierten Arbeiten. Sie sollen die fachlichen Kompetenzen der Schüler:innen mit Blick auf ein Hochschulstudium erweitern sowie die eigenverantwortliche Gestaltung der beruflichen Entwicklung fördern – durch Seminararbeiten und Projektarbeiten, die im Kontakt mit der Arbeitswelt entstehen. Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Kooperationspartnern ist dabei ausdrücklich erwünscht. Im Land Baden-Württemberg existiert das Format des Seminarkurses bereits seit 1998/1999.

Frau Schümann, was genau haben Sie in diesem Seminarkurs „Ästhetische Forschung“ gemacht?

Zunächst setzten sich die Schüler:innen einzeln oder in Kleingruppen künstlerisch forschend mit der Aufgabe auseinander, „Schwimmbadkunst für das neue Stadtbad“ zu entwickeln.

Diese Forschung erfolgte in den vier Feldern Alltagserfahrung, Kunst, Wissenschaft und ästhetische Praxis. Es galt zum Beispiel Erinnerungen an eigene Schwimmbadbesuche zu nutzen, um daraus Ideen zu entwickeln, diese zeichnend, fotografierend, filmend und collagierend festzuhalten. Recherchen in der Kunst und Wissenschaft führten zu weiteren Inspirationen und Ideen.

Auf welche Ideen kamen die Schüler:innen dabei?

Die Ideen waren recht vielfältig – in erster Linie Wandmalereien, ein Fensterfolienbild, plastische Gestaltungen, die Gestaltung eines Brunnens in Mosaiktechnik sowie von Bodenmosaiken.

Da Mosaikgestaltung technisch sehr herausfordernd ist, habe ich Künstler:innen als Unterstützung gesucht und mit dem Künstlerpaar aus Glienicke Igor Jerschov, Christine Gersch ein in der Arbeit mit Schüle:innen sehr erfahrenes Team gefunden. Während der sich anschließenden genaueren Auseinandersetzung und der Ausarbeitung der Ideen haben wir uns an künstlerische Schaffensprozesse angenähert, mit Material experimentiert, gestaltet, ausprobiert und auch über den gestalterischen Anspruch diskutiert und reflektiert.

Welche Rolle spielte dabei das Künstlerpaar Igor Jerschov und Christine Gersch?

Die Kooperation mit beiden war in dieser Arbeitsphase eine entscheidende Bereicherung für die Schüler:innen und mich, als unterrichtende Lehrerin. Igor hat einen Kurs in Mosaikgestaltung mit den Schüler:innen durchgeführt. Dadurch erhielten wir notwendige Impulse von außen, aber eben auch Wertschätzung. Gleichzeitig war durch die Anwesenheit und Beratung der beiden Künstler:innen für den künstlerischen Anspruch gesorgt und dafür, dass wir kritisch beraten wurden.

Was bringt aus Ihrer Sicht als Lehrerin die Expertise von Künstler:innen generell an Schulen und in einem Seminarkurs?

Ich bin eine begeisterte Öffnerin der Schulen. Im System Schule ist alles konstruiert, man muss als Lehrer:in oft vorgaukeln, warum etwas nützlich ist. Das ist scheinheilig und wird von den Schülern eben auch durchschaut. Die Wirksamkeit ihrer Arbeit erleben die Schüler:innen hingegen viel mehr über Wettbewerbe, Projektarbeit, Präsentationen.

Zudem sind Kinder und Jugendliche sehr auf Noten konditioniert. Auch in dieser Hinsicht ist das Aufbrechen des Unterrichts durch Künstler:innen oder andere außerschulische Partner:innen sehr sinnvoll. Man muss einen Künstler, eine Künstlerin nicht didaktisieren, sie haben eine andere Rolle und bringen ihre eigenen künstlerischen Anreize, ihre Problemstellungen und Lösungsstrategien mit in den Unterricht. Das ist ungemein wertvoll.

Igor kann zu den Schüler:innen sagen: „Vergesst eure Klausuren, jetzt seid ihr hier.“ So lernten die Jugendlichen in diesen Stunden mit dem Künstlerpaar etwas über sich, kamen zur Ruhe und zur Konzentration. Das handwerkliche Arbeiten nach Corona war ein Genuss, sie konnten eintauchen und sich vertiefen.

Und was bedeutet dieses Aufbrechen des Unterrichts für Sie als Lehrerin?

Ich selbst kann aus meiner Rolle treten. Ich würde gerne lieber beratend tätig sein als von oben herab. Dieses partnerschaftliche Arbeiten ist gut, es wirkt systemisch durch diese Kooperation von innen und außen.

Worin sehen Sie das Potential des Faches Seminarkurs im Bereich der Kulturellen Bildung?

Das Fach Seminarkurs hätte das Potential zu Fächerübergreifendem, Fächerverbindendem, wann man die Möglichkeiten der Multiplen Intelligenzen nach der Theorie von Howard Gardner erkennt. Ich bin seit 32 Jahren Lehrerin und bislang habe ich seitens des Ministeriums noch keine klare dauerhafte Förderung der musisch-künstlerischen Bildung erlebt. Der Fokus liegt immer auf den sogenannten Hauptfächern. Dabei ist mehr projektorientiertes, fächerübergreifendes Arbeiten notwendig. Auch in der Kunst lassen sich Verbindungen zu vielen Fächern schaffen, zu MINT-Fächern zum Beispiel.

Welche Anpassungen wären aus Ihrer Sicht dafür nötig?

Es bräuchte vor allem mehr Wertschätzung dieser Arbeit. Ich wünschte mir eine stärkere Unterstützung des MBJS. So etwas geschieht auch über Stellen und deren Verstetigung. Wie ein Schulsozialarbeiter könnte ja auch ein Künstler, ein Künstlerteam vor Ort an jeder Schule sein. Das Künstlerische ließe sich so viel mehr in den Schulalltag integrieren. Nehmen Sie zum Beispiel anstehende Baumaßnahmen an einer Schule. Die Kinder und Jugendlichen haben Ideen, wie sie ihren Schulhof gestalten, so etwas ließe sich doch in den Unterricht integrieren.