Annett Glöckner: „Draußen ist die Euphorie am größten“
Die Bildende Künstlerin Annett Glöckner verwandelt als Max-Artist in Residence an der Evangelischen Schule in Neuruppin ihr Atelier zu einem „Baukasten der Natur“
Text von Grit Weirauch, Bilder von Annett Glöckner
Kunst kann man containern ¬– und das auf einem Schulhof. So begann die Max-Residenz für Annett Glöckner an der Evangelischen Schule in Neuruppin. Es war eine Art Ankommen für die Künstlerin. In dem Container befanden sich alte Schulbänke. Ramponiert, bekritzelt, von der Hausmeisterei entsorgt. „Das hat mich so angesprochen. Ich habe den Container erst einmal ein paar Tage umrundet, bevor ich es gewagt habe, etwas herauszunehmen“, erzählt die 58-Jährige fröhlich.
Schließlich holte sie vier Tischplatten heraus, der Hausmeister half ihr, sie unter das Dach des Schulgebäudes zu tragen, dorthin, wo sich ihr Max-Atelier befindet. Für und auf die Platten schrieb Annett Glöckner einen Text ¬ – darüber, wie die Muse kommt. Er heißt „Zur Arbeit erscheinen“. „So rabiat, punkig eher, in einer groben, wilden Art, aber ich bin sehr stolz auf diese vier Platten. Dadurch habe ich mich mehr mit meiner Umgebung verbunden und fühlte mich auch willkommen geheißen.“
Seit September 2022 und bis Ende 2023 ist Annett Glöckner Stipendiatin des Programms „Max – Artists in Residence an Schulen in Brandenburg“. Die Evangelische Schule sei eine sehr freundliche Schule, sagt sie, „es herrscht hier ein freundlicher Geist. In so einem Umfeld geht einfach mehr.“
Die gelernte Bleisetzerin hatte in den Wendejahren an der Hochschule der Künste in Berlin ihr Diplom und den Meisterschüler-Abschluss absolviert, die Hauptstadt aber verließ sie bereits 1995, um aufs Land zu ziehen. Denn Natur ist für sie Lebensraum und Kunstraum zugleich. Auch in die Evangelische Schule will sie die Natur holen, in ihr Atelier unter dem Dach, „sehr dicht am Himmel“. Mit den Kindern sammelt sie dafür in der Natur die Materialien, mit denen sie dann drinnen arbeiten. „Draußen ist die Euphorie am größten“, sagt sie. Gerade seit Corona spüre sie bei den Mitmenschen mehr Verbindung zur Natur. An die Säulen des Raumes sind Zweige gebunden, überall liegen die Dinge von draußen – Blätter, Stöckchen, Kastanien etwa, aber auch Bonbontüten und rätselhafte Fundstücke.
Die Natur als Einstieg ins Kunstmachen
„Baukasten der Natur“ nennt Annett Glöckner ihr Projekt. Sie betreibt mit den Kindern Upcycling, bringt Dinge aus der Natur wieder in den Materialkreislauf, in das künstlerische Schaffen und in das Bewusstsein der Schüler:innen: „Kinder lieben die Natur, und was man liebt, wird man schützen“ – davon ist sie überzeugt. Die Wahrnehmung verfeinern und die Wertschätzung für die Natur, das sind der Künstlerin wichtige Anliegen in ihrer Arbeit mit Kindern.
Mit ihrem Ansatz hat Annett Glöckner bereits an vielen anderen Brandenburger Schulen gearbeitet, so auch in Fehrbellin und Wusterhausen in dem Projekt „Der Wald ist unsere Schule“. In Wittstock hat sie mit Schüler.innen aus sechs Schulen unter dem Titel „Wir feiern die Natur“ zur Erinnerung an die dortige Landesgartenschau eine Fliesenwand im Park gestaltet.
Regelmäßig ist ihr Atelier an der Evangelischen Schule geöffnet. „Die Schüler kommen herein und arbeiten sofort los und hören nicht mehr auf“, sagt sie. Denn so eine Umgebung sei „wahnsinnig anregend“, die Natur „ein super Einstieg ins Kunstmachen“. Auch für sie selbst: Wenn die Kinder nach anderthalb Stunden – „für die Kunst ist immer zu wenig Zeit“ –, das Atelier verlassen, geht ihre künstlerische Tätigkeit an der Schule weiter. Sie arbeitet dann etwa an der gemeinsamen Raum-Installation.
Rosa Blätter für den Baum Willy
Für Willy etwa, dem größten Baum im Raum, einem Rotdorn, baut sie viele rosa Blätter, malt mit den auf den Paletten angefangenen Acrylfarben weiter, tüftelt daran, wie man Willy mobil bekommt und gestaltet so den Raum permanent weiter. Als nächstes schwebt ihr ein Dialog vor, den die Kinder mit Mutter Natur führen, ein Gespräch etwa mit einem Baum. Auch Dankbarkeitsrituale möchte sie versuchen.
Und sie möchte die Poesie miteinbeziehen, denn Dichtung in Form von Textzeichnungen, Installationen und Performance ist ein wichtiger Schwerpunkt ihrer Kunst. Im Frühjahr will sie mit den Schüler:innen draußen dichten. Bereits jetzt hängen im Max-Atelier große Papierbahnen – die Arbeit „Guck ma“, an der sie gerade arbeitet.
Sie arbeitet an Performances mit der 11. Klasse, wo diese mit Sprache arbeiten und von sich erzählen, dafür brauche es viel Zeit und Vertrauen, denn dann „wird es intimer als in der Bildenden Kunst, die oft nonverbal ist“.
Der flirrende Space Kunst
Methoden und Techniken, um künstlerisches Schaffen, auch das mit Worten, hervorzulocken, kennt sie viele, doch letztlich vertraut sie dem Augenblick, der Kunst entstehen lässt. Und genau das will sie als Künstlerin von außen in der Schule auch vermitteln: Dieser „flirrende Space“, diese Möglichkeit, Kunst zu erschaffen, ist immer da, jederzeit zugänglich. Als Raum, in dem das Flüchtige, das vermeintlich Unbedeutende, wahrgenommen wird und mit ihm bewusst dilettantisch – im besten Wortsinn – gespielt wird. Alles muss in diesem vorbereiteten geschützten Raum möglich sein, ohne dass man bewertet wird.
Die Freude und Begeisterung im Tun sollte in der Schule geübt und ein Leben lang erhalten bleiben. „Wir wünschen uns doch, dass Kinder, wenn sie groß sind, gerne weiter Kunst schaffen, kreativ sind, sich was ausdenken, gerne in Ausstellungen gehen und Kunst wertschätzen.“ Ihrer Meinung nach gehört deswegen unbedingt die Bewertung im Kunstunterricht, wie auch im Musikunterricht, abgeschafft.
Mehr Künstler:innen an die Schulen
Solche Programme wie die Max-Residenz müsste es viel mehr geben, an viel mehr Schulen, sagt Annett Glöckner. Denn als Max-Künstlerin versteht sie es als ihre Rolle, den Kindern als Vorbild zu dienen, als Künstlerin eine andere Haltung, und eine andere Sichtweise auf das Leben, inner- und außerhalb der Schule mitzugeben. Und natürlich nimmt sie im Gegenzug auch von den Kindern Impulse für sich selbst mit. „Kinder tun hemmungslose Dinge, auf die ich nicht mehr komme als Erwachsene, sie sind einfach noch unmittelbarer und viel mehr im Moment.“ So rief etwa eine Viertklässlerin draußen beim Materialsammeln einem Radfahrer zur: „Hallo! Wir sind hier im Baukasten der Natur!“
Mit Begeisterung erzählt sie auch, wie ein Junge zack, zack, zack ein Laubblatt viereckig schneidet. Oder ein anderes Mädchen mit einer Blüte und einer Feder Abdrücke aufs Papier macht und dann eine Stunde lang mit ihren Fingerspitzen Farbe drumherum tupft. „So tief empfunden und so großartig, da kann ich nur lernen von.“
Über Annett Glöckner
Annett Glöckner wurde 1964 in Borna bei Leipzig geboren. Nach einer Lehre im Bleisatz und einer Ausbildung im Fotosatz studierte sie der Hochschule der Künste in Berlin. Schwerpunkte ihrer künstlerischen Tätigkeit sind Textcollagen, Performances, Kunst im Öffentlichen Raum und partizipative Projekte. Mit Schüler.innen aller Wittstocker Schulen gestaltete sie u.a. unter dem Titel „Wir feiern die Natur“ Fliesenwände in Erinnerung an die Landesgartenschau. Sie lebt und arbeitet in Neuruppin.
„Max – Artists in Residence an Schulen in Brandenburg“ ist ein Projekt der Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg auf Initiative der Stiftung Brandenburger Tor.