Catrin Große: Vom Korsett zur Kreativität

Catrin Große ist Stipendiatin des Max-Artists in Residence Programm an der Grundschule in Sonnewalde. Die Tür zu ihrem Atelier steht den Kindern offen.

Text von Grit Weirauch, Fotos von Catrin Große

Der Klassenraum an der Grundschule Sonnewalde ist mutiert. Zugewachsen, sagt Catrin Große. Sie ist Stipendiatin des Max-Artists in Residence Programm und hat zum Schuljahresbeginn im August 2022 ihr Atelier in einem Klassenraum eröffnet. Seitdem ist ihr Klassenraum-Atelier bewohnt von verschiedensten Materialien, Farben, Druckplatten, Zeichenblättern…
Die Künstlerin hatte sich auf das Max-Residence-Programm beworben, wie auch die Grundschule Sonnewalde. „Ich mache sehr gerne zeitlich begrenzte Projekte an Schulen. Die Kombination aus Atelier an der Schule und dass die Kinder freiwillig reinkommen können, klang gut. Das ist ein ganz anderes Konzept als ein festes Angebot im schulischen Rahmen. Es ist freiwilliger, das hat mir gefallen.“
Wenn Catrin Große in ihrem Atelier ist, steht die Tür offen. Die Kinder, die hereinkommen, sind zwischen neun und zwölf Jahre alt, ihre Prägungen sehr unterschiedlich, manche talentiert in sämtlichen Fächern, andere mit Förderbedarf. Einige mischen am liebsten Farben, andere lassen sich gerne von Materialien inspirieren, wieder andere wollen am liebsten nur Farbe sprühen.

Kunst und Zensur
Feste Pläne, was sie mit den Kindern machen wollte, hatte Catrin Große nicht. „Ich mache das gerne nach Bedarf. Das ist am Anfang etwas komplizierter, als wenn man einen Plan hat. Wenn ich in Schulen arbeite, schaue ich immer erst, was könnte man machen, mache Rundgänge mit den Kindern und lasse mir alles zeigen. Daraus entwickelt sich dann etwas ganz Spezielles für diese Schüler an diesem Ort.“ Zu Beginn sei die Kommunikation darüber, was die Schüler wollen und was die Künstlerin mit jahrelanger Kreativerfahrung vorschlägt, meist schwierig. „Im Dialog und durch das Machen nähern wir uns an.“ Auch wenn der Anfang in der Regel sehr zäh sei, wie sie sagt – inzwischen, nach vier Monaten ist jedes Mal, wenn Atelierzeit ist, geschäftiges, kreatives Treiben.
Als erfahrene Workshopleiterin fällt der Künstlerin auf, dass die ersten künstlerischen Arbeiten der Kinder oft recht uniform sind. „Der Trend, dass Lehrer Kunsterziehung unterrichten, die selbst keine künstlerische Erfahrung mitbringen und/oder keine kunstpädagogische Ausbildung haben, ist in vielen Schulen offensichtlich.“ Es sei schließlich einfach, im Kunstunterricht die Ergebnisse vorzugeben und dann Sauberkeit und Geschwindigkeit zu zensieren. „Immer wieder begegnen mir Ausmalbilder, die die gleiche Bildkomposition für alle vorgeben, meist alles auf weißem Din A4-Papier. Somit sehen alle Arbeiten einer Klasse fast gleich aus und die Schüler können im schlimmsten Fall nicht mal erkennen, welches ihre eigene Arbeit ist. Dann noch Daten der verstorbenen Künstler abfragen, fertig ist die Zensur.“
Die Kunst wird so zum Korsett: Um sie daraus wieder zu lösen, hat die Max-Stipendiatin an der Grundschule in Sonnewalde mit Druckgrafik angefangen. Das ist ihr Spezialgebiet: Zwischen 1994 und 1995 hatte sie in den grafischen Werkstätten des Royal College of Art in London gearbeitet und dort mit verschiedensten Papieren, Farben und Maschinen experimentiert. „Thematisch haben die Kinder sich gerade mit Albrecht Dürer beschäftigt. Ich bin mit in den Unterricht und wir haben uns die Grundausstattung für Druckgrafik besorgt. Und ich habe zum Tag der Offenen Tür mit den Kindern auf dunklem Papier gedruckt und damit ihre Erfahrung umgedreht, auf hellem Papier zu arbeiten. Das mache ich sehr gerne, Erfahrungen und Formate „umzukippen“. Allein dieses „Umkippen“ schaffe unterschiedliche Ergebnisse und mehr Freiheit für den kreativen Prozess, so Große.

Der Prozess im Kopf
Auch der Raum selbst war dieser Verwandlung unterworfen. Das Atelier, ein ehemaliger Musikraum, bekam nach und nach ein neues Aussehen. An den vorhandenen Mobiles aus CDs arbeitete die Künstlerin weiter und diese Kreativität sprang auf Schüler.innen über. „Wir gestalteten – vorwiegend abwechselnd – CD-Objekte in offenen Gruppen mit unterschiedlichen Teilnehmern.“ Am Ende war die Autorenschaft nicht mehr nachvollziehbar. Und nicht aufgrund der Uniformität der Arbeiten, sondern durch das künstlerische Gemeinschaftsprojekt.
Selbst Objekte aus dem Schulgebäude haben Kinder und Künstlerin mit ihrer Kreativität aufgewertet. „Beim Rundgang durch die Grundschule entschieden sich einige Schüler, die alten, zum Teil kaputten Sitzmöbel zu gestalten“, so Große. Das habe sich ideal mit dem Wunsch nach Graffiti kombinieren lassen. „Lange jedoch mussten Entwürfe gezeichnet werden, was sehr viel Geduld verlangte. Dann kam Abkleben, Sprühen und Malen. Aus dem kahlen Raum wurde langsam eine Kunsthöhle.“
Für die Künstlerin sind anspruchsvolle Ergebnisse jedoch nur Nebenprodukt der künstlerischen Auseinandersetzung. Der eigentliche Prozess findet für sie im Kopf statt. Für Lehrer.innen und oft auch Eltern sei dies jedoch nur schwer wahrnehmbar. Und in ihrem Atelier – ist es ihr als Max-Residentin gelungen, diesen Prozess bei den Jungen und Mädchen in Gang zu setzen?
„Man erreicht natürlich nicht immer alle“, sagt Große. „Ich glaube aber, bei ein paar Kindern ist etwas passiert, was mich sehr erfreut.“
Ein Junge etwa habe ihr gesagt: „Wenn ich sechs Stunden Kunst AG hätte und danach noch eine Stunde Kunst, dann wäre ich glücklich.“ Eine andere Schülerin fertigte aus einem Uhrgehäuse, die das Abfall-Entsorgungsverband zur Verfügung gestellt hatte, ein Aquarium mit einem Haifisch aus einer CD. „Mit Pflanzen und allem Drum und Dran. Bei ihr ist auch ordentlich etwas passiert – wie man etwa Materialien kombiniert.“ Dies mitzuerleben, sind die beglückenden Momente für die Künstlerin an der Schule.

Über Catrin Große

Catrin Große arbeitet seit 1995 als freischaffende Malerin, Grafikerin und Bildhauerin. In Dresden studierte sie Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, war Meisterschülerin bei Günter Horlbeck und später als DAAD-Stipendiatin am Royal College of Art in London in der Abteilung Druckgrafik, wo sie die Ambossdrucktechnik entwickelte. Im In- und Ausland hielt sie zahlreiche Vorträge und Workshops und war u.a. in der Weiterbildung für Kunsterzieher.innen tätig.

Catrin Grosse

 

„Max – Artists in Residence an Schulen in Brandenburg“ ist ein Projekt der Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg auf Initiative der Stiftung Brandenburger Tor.