Prof. Dr. Ali Konyali, Foto: ©privat
Prof. Dr. Ali Konyali, Foto: ©privat

Prof. Dr. Ali Konyali: Das Andere ist nicht mehr das Besondere, sondern der Normalfall

Prof. Dr. Ali Konyali ist Kulturwissenschaftler und seit 2019 Mitarbeiter am DeZIM, dem Deutschen Institut für Integrations- und Migrationsforschung. Er promovierte an der Erasmus Universität Rotterdam über beruflich erfolgreiche Nachkommen von Migrant:innen aus der Türkei.

 

Prof. Dr. Ali Konyali, Foto: ©privat
Prof. Dr. Ali Konyali, Foto: ©privat

Herr Konyali, Sie waren seit zwei Jahren als Jurymitglied in der Plattform Kulturellen Bildung in Brandenburg tätig und nehmen nun Ihren Abschied. Als Enkelkind von türkischen Gastarbeiter:innen hatten Sie einen ganz eigenen Blick auf kulturelle Bildung in diesem Land. Wie würden Sie diese Perspektive beschreiben?

Ali Konyali: Zum einen ist es mir wichtig, dass ich ein gleichberechtigtes Mitglied dieser Jury war, die von unterschiedlichen Expert:innen und Interessensvertreter: innen aus dem Land Brandenburg zusammengesetzt ist. Und da bin ich natürlich ein wenig derjenige, der „von außen reinkommt“. Und dieses Außen bezieht sich nicht nur auf das Migrantische. Ich komme eigentlich aus Niedersachsen, wohne und arbeite in Berlin, hatte aber auch Bezüge zu Brandenburg durch meine Nebentätigkeiten.

Das Land aber kenne ich bei weitem nicht so gut wie andere Jurymitglieder. Aber dafür habe ich diese rassismuserfahrene, diskriminierungserfahrene, vielleicht auch machtkritische Perspektive.

Was meinen Sie genau damit?

Als Enkel von Gastarbeiter:innen bin ich selbst durch die Institutionen in Deutschland gelaufen, habe Abitur hier gemacht, dann im Ausland studiert, bin wieder zurückgekommen und habe versucht in der Forschung, insbesondere auch im Feld Migrations-, Integrations- und Rassismusforschung, mir einen Platz zu etablieren in den Institutionen. So habe ich Erfahrungen gesammelt, was die Interaktion zwischen den Einzelnen und den Institutionen angeht.

Wie sieht denn aus Ihrer Erfahrung die Interaktion zwischen den Einzelnen und den Institutionen im Feld der kulturellen Bildung in Brandenburg aus? Es wird ja seit einigen Jahren, zum Beispiel in der Förderrichtlinie und bei der Antragstellung, viel Wert auf die Einbindung postmigrantischer Perspektiven gelegt.

Es gibt ein Bemühen, diesbezüglich „Unterschiede“ mitzudenken. Aber mir fehlt dennoch im Gesamtüberblick die Initiative auch zu sagen, wenn wir in diesem Bereich arbeiten wollen, dann versuchen wir auch dafür zu sorgen, dass „Betroffene“ oder Ausschlusserfahrene mitwirken – bei der Konzeption, bei der Durchführung und nicht nur Zielgruppe und Empfangende sind. Weil das andernfalls ganz oft – das sieht man auch so an dem Integrationsdiskurs in Deutschland – zu einem defizitären Verständnis führt. Als wenn denen etwas fehlen würde, was man ihnen näherbringen muss…

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

»Flexibilität mitdenken«

Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenzubringen, reicht Ihnen nicht aus?

Nein, weil da teilweise mit sehr starren, containerhaften Kulturbegriffen gearbeitet wird, als wäre Kultur etwas, was da ist und sich nicht verändert. Auch innerhalb einer Biografie, als wenn das etwas ist, was man im Rucksack mithat. Und dieser Rucksack bleibt unverändert und man muss dafür sorgen, dass die Menschen sich gegenseitig über ihre Rucksäcke bewusstwerden. Aber Kultur ist veränderbar. Es wäre wichtig, eine Flexibilität mitzudenken, dass eben das Andere nicht das Besondere mehr ist, sondern eigentlich der Normalfall.

In Berlin sicherlich, aber auch in Brandenburg? Menschen mit Migrationserfahrungen gibt es doch hier nicht so viele.

Natürlich gibt es da einen Unterschied zwischen so einer Metropole wie Berlin und kleineren Orten im ländlichen Raum in Brandenburg. Aber in Brandenburg gibt es mittlerweile auch immer mehr Personen mit Migrationserfahrung oder Rassismuserfahrungen. Dieses Wechselspiel zwischen so einer übererfahrenen Stadt wie Berlin und den ländlichen Räumen kann sehr sinnvoll sein, um einfach einen Prozess, der einfach unaufhaltbar ist, auch mitzugestalten und vielleicht auch Lehren zu ziehen aus der Erfahrung, die eine Stadt wie Berlin mit sich bringt. Und gleichzeitig können wir in Berlin auch schauen, wie lassen sich die Räume in Brandenburg mitgestalten? Wie kann eigentlich eine fruchtbare Wechselbeziehung entstehen zwischen diesen beiden Räumen?

»Kultur als veränderbare Ressource«

Wenn, wie Sie sagen, Kultur etwas Fließendes, Erneuerbares ist, was ändert das an dem Ansatz der kulturellen Bildung?

Im Zusammenhang mit der kulturellen Bildung kommt ja leider oft auch der Begriff „bildungsfern“ oder „kulturfern“ mit ins Spiel. Da sind wir aber wieder bei einem ganz starren Verständnis von Kultur. Ich gehe nicht davon aus, dass Menschen aus geflüchteten Familien keinen Bezug zur Kultur haben. Wie sollte das denn aussehen, was heißt das denn? Auch da gibt es diese Vorstellung von Hochkultur – etwa dass sie keine Erfahrung mit Orchestern haben. Aber was bringen sie denn überhaupt mit? Wie lässt sich dies als Ressource für kulturelle Projekte nutzen? Ich gehe stark davon aus, dass auch innerhalb der Familien Musik gehört wird, dass innerhalb dieser Familien ein Interesse am Schauspiel besteht, an Filmen. Was gucken sie auf YouTube? Wie können wir sie dafür gewinnen, Projekte zu gestalten, die jetzt hier im ländlichen Raum in Brandenburg Prozesse anstoßen können.

Sie meinen Projekte, die aus ihrer Sicht Sinn machen und nicht von außen aufgesetzt werden?

Genau. Ein guter Test für die eigene Haltung ist die Frage: Betrachte ich diese Zielgruppe eigentlich auf Augenhöhe oder gehe ich davon aus, dass ihnen etwas fehlt?

Wie hat sich die kulturelle Bildung denn unter diesem Gesichtspunkt in Brandenburg in den letzten zwei Jahren entwickelt?

Es gibt immer mehr Bestrebungen, ein Miteinander auf Augenhöhe auch verwaltungstechnisch zu standardisieren oder professionalisieren. Die Plattform Kulturelle Bildung hat die Kubi-Karte angelegt, auf der  sich Projekte eintragen können, so dass man einen Überblick bekommt.  Auch was die Antragstellung angeht, bemüht sich die Plattform sehr, eine Niedrigschwelligkeit zu ermöglichen. Es finden Beratungsgespräche statt. Das sind alles sehr wichtige Prozesse, die hoffentlich beibehalten werden, auch wenn die finanzielle Lage jetzt nicht super rosig ist.

»Beratungsgespräche für Anträge auf Augenhöhe«

Warum sind Beratungsgespräche so wichtig?

Weil Personen, die jetzt noch nicht so eine Antragserfahrung haben, ganz schnell ausgeschlossen werden können, zum Beispiel weil sie sich eine Antragssprache nicht zutrauen. Das haben die Kolleginnen von der Plattform Kulturelle Bildung im Blick. Sie versuchen durch Einzelgespräche dafür zu sorgen, dass die Antragsteller:innen auf Augenhöhe mit den anderen Antragsteller:innen ihre Anträge stellen können. Das sind Bestrebungen, bei denen man über den Standard hinausgehend versucht, eine Gleichmäßigkeit auch im Antragstellungsprozess herzustellen. Denn manche Personen benötigen Unterstützung und andere kommen aus einer privilegierten Position heraus eher infrage für eine Förderung. Es ist aber ja viel wert, wenn ein Antrag von einer ausschlusserfahrenen Person geschrieben ist, auch wenn vielleicht nicht in perfektem Antragsdeutsch. Ich verstehe, dass es Prinzipien wie Bestenauslese gibt, aber ich beharre darauf, dass diese Standards, die zur Bestenauslese führen, nicht in Stein gemeißelt sind und einen Hintergrund haben, den man durchaus auch hinterfragen könnte.

»Diversität ist nicht nur ein Label«

Was müsste außerdem gestärkt werden, um mehr Diversität zu erreichen?

Meiner Ansicht nach ist auch erstrebenswert, die Verwaltung auch rassismuskritisch zu trainieren und auszubilden und die Einstellungsprozesse zu betrachten. Wie sehr sorgt man dafür, dass auch Personen mit Rassismuserfahrungen in der Verwaltung selbst sitzen, sodass ihre Ausschlusserfahrungen auch in die Verwaltungen getragen werden und nicht nur von außen reingeholt werden müssen? Da muss man aber auch vorsichtig sein. Denn Diversität ist nicht nur ein Label, das neoliberal oder kapitalistisch ausgeschlachtet werden kann, sondern tatsächlich etwas, was zu multiplen Perspektiven führt, zum Reichtum des kulturellen Angebots und zum Ausnutzen des Potenzials. Allein aufgrund der Demografie in Deutschland und der Fachkräfte-Zuwanderung ist es ein Fakt, dass die migrationsinduzierte Diversität zunehmen wird, auch in den östlichen Ländern. Das lässt sich einfach nicht aufhalten und da gibt es Handlungsbedarf. Das gilt aber nicht nur für Brandenburg.

Erstmals wird in einem ostdeutschen Bundesland, in Potsdam im September, der Bundesfachkongress Interkultur stattfinden. Was erhoffen Sie sich davon für die kulturelle Bildung in Brandenburg?

Es passieren schon im Vorfeld ganz viele Dinge, die ich mir davon erhofft hätte. Denn es gibt im Entstehungsprozess dieses Kongresses sehr viel Gestaltungsspielraum.  Außerdem wurde immer wieder darauf geachtet, dass man die Communities, auch die lokalen, mit einbindet. Ich habe jetzt die Ehre, mit meiner Kollegin Samah Al Hashash zusammen mit einem Fachforum zu „Klassenräumen“ im Rahmen des zweiten Tages diesen Kongress mitzugestalten. Wir haben komplett freie Hand. Dieses Grundvertrauen ist natürlich toll. Und ich erhoffe mir, dass dadurch wirklich ein Wissenstransfer auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet.

 

Das Interview führte Grit Weirauch.