Kerstin Kusch: Die Mutmacherin in China
Theaterpädagogin Kerstin Kusch aus dem Landesverband Freie Darstellende Künste Brandenburg über ihre Erfahrungen mit Darstellendem Spiel für Kleinkinder in China, als Demokratieförderung hierzulande und als Proberaum für Empathie.
„Mit Theaterspielen macht man den Kindern Mut“
Frau Kusch, Sie waren drei Monate als Theaterpädagogin in China und haben dort unter anderem mit drei- bis fünfjährigen Kindern, die Englisch lernen sollen, Theater gespielt. Was unterscheidet das Theaterspielen in China in der frühkindlichen Bildung von dem hiesigen Ansatz der kulturellen Bildung?
In China wird versucht, sehr komprimiert möglichst viel in die Kinder hineinzugeben. Es gibt diese Kreativität als Staatsdoktrin. Gleichzeitig ist diese Generation auch angehalten, fließend Englisch zu können. Während es bei uns in der kulturellen Bildung um Prozessorientierung, Ganzheitlichkeit und Empowerment geht, müssen Kinder in China am Ende jeder Stunde immer etwas abliefern. Eine fertige Choreographie, ein einstudiertes Lied oder ähnliches. Die Ergebnisse werden penibel dokumentiert. Bei meinen Workshops und Proben mit den Kindern waren immer die Eltern dabei und unzählige Kameras. Es ist ganz wichtig, dass jeder Entwicklungsschritt aufgezeichnet wird.
Und worauf zielt das Theaterspiel mit Kindern hierzulande?
Theater als Kunstform und Kulturtechnik schafft ja Möglichkeitsräume, Proberäume für gemeinschaftliches und gesellschaftliches Dasein. Man probiert aus, was wäre, wenn… ich der König wäre, der Herrscher wäre, wenn ich in einer untergeordneten Position wäre, einen Konflikt hätte. Das alles kann durchgespielt werden und dabei lernen die Kinder ziemlich früh: Wie könnte ich reagieren, wie reagieren Andere? Es wirkt natürlich auch stärkend, wenn man sich seiner Ausdruckmittel und seiner potentiellen Wirkung auf andere bewusst wird.
In Stendal haben Sie Demokratieworkshops gegeben mittels Theaterpädagogik. Was haben Sie da genau gemacht?
Wir hatten mehrere Workshopangebote für unterschiedliche Altersgruppen, die von Bildungseinrichtungen gebucht werden konnten. Wir haben z.B. eine Woche lang in einer Kita Demokratieworkshops durchgeführt. Gemeinsam mit den Erzieherinnen und Erziehern haben wir ein Konzept erarbeitet, bei dem wir die Kinder zum Mitdenken und Mitreden ermutigt haben. Sie sollten ihre Meinungen äußern, die Meinungen anderer aushalten und sich trauen, das Wort zu ergreifen. Sie sollten für ihre Meinung einstehen und Formen der Einigung auszuprobieren.
Wie alt waren die Kinder?
Ich habe täglich mit zwei Gruppen gearbeitet. Dabei waren die Kinder der ersten Gruppe zwischen drei und vier Jahren während die es sich bei der zweiten Gruppe um fünf- bis sechsjährige Kinder handelte.
Wie lässt sich denn aus so einer einmaligen Workshoperfahrung Darstellendes Spiel nachhaltig im Kitaalltag einsetzen?
Man muss auf jeden Fall Räume und Zeit dafür schaffen. Man darf von den Kindern nicht erwarten, dass sie funktionieren, auf jeden Fall nicht die Vorstellung haben, dass man ein Stück mit ihnen einübt und nach einem halben Jahr fertig ist. Das setzt sie nur unnötig unter Druck. Auch eine Seherfahrung wäre gut.
…also der Besuch eines Theaterstücks?
Ja, selber ins Theater gehen mit den Kindern wäre in jedem Fall wichtig, damit das Konzept Theaterspielen überhaupt erstmal erlebt wird: Was ist eine Bühne, wie werden da Geschichten erzählt? Um damit den Kindern Lust zu machen, selber Theater zu spielen.
Wie können Kita-Pädagoginnen und Pädagogen denn mit ganz einfachen Mitteln Darstellendes Spiel in den Kita-Alltag integrieren?
Mit Spielübungen zu bekannten Motiven aus Märchen lässt sich gut arbeiten. Das Weglaufen vor dem bösen Wolf, zum Beispiel – Wie kann das einigermaßen koordiniert und in einer bestimmten Zeit ablaufen? So etwas macht den Kindern viel Spaß. Das heißt, man arbeitet noch nicht gleich szenisch, sondern versucht, mithilfe von Körperübungen ein bestimmtes Gefühl oder eine bestimmte Aktion darzustellen. Damit macht man den Kindern Mut zum Ausdruck, vor allem auch in der Gruppe. Und dann kann man sich peu à peu an den verschiedenen Bildern eines Märchens entlangarbeiten. Später kann man auch Dialoge einführen, aber das Spiel mit den Bildern und Motiven ist vorrangig.
Was bewirkt Darstellendes Spiel bei Kleinkindern und warum sollte es Ihrer Meinung nach verstärkt Einzug in Kitas halten?
Theaterspielen übt den Körper, die Stimme und den Geist für den Ausdruck, auch in der eigenen sozialen Welt. Die Kinder schärfen ihr Instrumentarium – Stimme, Gestik, Mimik -, um sich adäquat zu dem, was sie ausdrücken möchten, zu verhalten. Diese Koordination von Ausdruckwollen und Ausdruckkönnen wird erprobt. Und es wird gezeigt, welches Verhalten welche Auswirkungen hat – auch auf Andere. Durch den ständigen Perspektivwechsel, der im Theater erforderlich ist, üben und probieren die Kinder auch immer wieder, sich in andere hineinzuversetzen. Dadurch entwickeln sie soziale Phantasie und einen Sinn für die Gestaltbarkeit zwischenmenschlicher Situationen. Damit ist Theaterspielen natürlich auch Kommunikations- und Demokratieförderung – Kinder erfahren spielerisch Verantwortung und Teilhabe in der Gesellschaft.
Das Interview wurde geführt von Grit Weirauch.
Über Kerstin Kusch
Kerstin Kusch ist studierte Theaterwissenschaftlerin und Pädagogin. Sie leitete von 2009 bis 2018 das Kinder- und Jugendtheater am Potsdamer Hans Otto Theater. Im Jahr 2019 verbrachte sie als Theaterpädagogin drei Monate im Osten der VR China. Anschließend war sie bis 2021 am Theater der Altmark in Stendal als Theaterpädagogin engagiert. Nach einer Weiterbildung zur Projektmanagerin arbeitet sie derzeit freiberuflich und leitet ein Kooperationsprojekt der Landesverbände der freien darstellenden Künste in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen.