Im Gespräch mit … „MAKOM – Kunst & Schule“
im Rahmen der Evaluation „Gelingensbedingungen von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen 2022/2023“
Auf Augenhöhe am Gartenzaun
Im Gespräch mit Anna Adam und Jalda Rebling von MAKOM – Kunst und Schule e.V. Wittbrietzen
Das Interview führte Jana Kühn am 21.12.2022
JK: Beginnen wir bei der Schule MAKOM in Wittbrietzen. Ihr lebt dort selbst und und ladet auch zu euch ein. Mögt ihr euren Ort beschreiben?
J: Wir durften ein Schulgebäude kaufen in Wittbrietzen, einem 500-Seelen Dorf. Über eine Ausschreibung hat das Dorf sich für zwei freiberufliche jüdische Künstler*innen entschieden, die keinen Hehl daraus machen, dass sie ein uraltes Ehepaar sind. Wir sind hier sehr freundlich aufgenommen worden. Wir haben versprochen: Wir bringen Kultur auf das Dorf, und das tun wir auch. Es gibt Lesungen, kleine Konzerte, Workshops. Wir haben mit den Kindern hier im Dorf gebastelt. Und mit dem Projekt „Geschichten aus dem Dorf“ wollen wir seine Geschichte verstehen.
A: Was hat es damit auf sich?
J: Ich stand vor dem Haus und harkte Blätter zusammen. Da kommt ein Mensch vorbei, will sich mit mir unterhalten. Eine meiner ersten Fragen ist natürlich: Sind sie hier auch zur Schule gegangen? Und sofort kamen Geschichten und ich wusste: „Jetzt will ich eine Kamera und diese Geschichten sammeln.“ Eigentlich sollte es ein Buch werden, aber dann wurde es eine Website, die die Geschichten der Dorfbewohner, die hier zur Schule gingen, dokumentiert. Die Ersten sind hier 1939 eingeschult worden und die letzten Kinder haben 1993 die Schule verlassen. Das heißt, über diese Interviews, immer aus Kinderaugen, bekommst du eine Geschichte eines brandenburgischen Dorfes vom Anfang des 2. Weltkrieges bis nach dem Mauerfall, als ein völliger Neubeginn stattfand. Du erfährst über diese Kindergeschichten, warum dieses Dorf bis zum heutigen Tage so eigenständig ist. Das sind Leute, die, wenn sie etwas ändern wollen, es eben einfach tun. Sie hatten eine Tanzgruppe. Sie hatten eine Theatergruppe, ein Mandolinenorchester, Sportwettbewerbe. Alles in diesem winzigen Dorf.
A: Uns hat von Anfang an interessiert, wieso ist dieses Dorf so widerständig, wie das von Asterix und Obelix in Gallien? Sie üben hier schon seit Generationen den zivilen Ungehorsam und sind dabei aber wahnsinnig freundlich, respektvoll miteinander. Sie haben Teamgeist – seit Generationen. Sie erinnern sich an ihre Herkunft generationsübergreifend. Es gibt eine tolle Willkommenskultur in diesem Dorf. Wir sind von Berlin hierhergekommen und natürlich gab es viele Leute mit krauser Stirn, die sagten „Oh, zwei jüdische Frauen, die zusammenleben, ziehen nach Brandenburg auf’s Dorf. Da müssen wir jetzt auf euch aufpassen, dass euch nix passiert.“ Hier ist es aber so, dass wir uns zum ersten Mal in unserem Leben, ohne Wenn und Aber, wohl und sicher fühlen und auch zum aller ersten Mal zu Hause. Zusammen mit dem Dorfchronisten und einem Menschen aus dem Dorfvorstands sind wir der Frage nachgegangen: Wie kommt es, dass dieses Dorf so gesund und lebendig ist, und immer wieder nachwächst?
JK: Und was habt ihr erfahren?
A: Leute, die sich daneben benehmen, die respektlos oder aggressiv sind, die haben hier keine Chance. Dieses kollektive Für-einander-sorgen, auch bei Corona, all diese Themen werden hier gelebt. Dank des von der Plattform Kulturelle Bildung geförderten Projektes „Geschichten aus dem Dorf“, konnten wir diese Realität zeigen – ganz entgegen der öffentlichen Wahrnehmung von Bandenburger Dörfern.
JK: Wie habt ihr hier angefangen?
J: Nach viel Bauen und Dreck und Krach, habe ich gedacht, jetzt musst du mal irgendetwas machen. Wir haben den Saal aufgemacht. Weil es Vollmond war, dachte ich: „Gut, dann mache ich Geschichten vom Mond.“ Ich habe mir einen Musiker geholt. Es sollte um 17 Uhr los gehen. Halb fünf kamen die Ersten. Und die erste Frage war: „Wo ist denn hier das Töpfchen, wenn wir wat kriegen, denn müssen wa och wat jeben.“ Wir hatten 30 Leute im Raum und haben mit den Leuten zusammen noch gesungen. Es war ein total schöner Abend. Die Menschen haben sich gefreut, dass sie wieder in ihrem alten Schulraum waren. Es war einfach „Willkommen, wat habt’n ihr vor? Wir unterstützen euch.“
JK: Welche Rolle spielt in Eurem Projekt das Jüdische?
A: Manchmal kommt auch das Jüdische dazu. Wir beide leiten eine jüdische Gemeinde in Berlin und wenn wir Laubhüttenfest feiern, machen wir das jetzt hier bei uns im Garten. Das heißt, wir bauen eine Laubhütte und die Nachbarn aus dem Dorf machen mit. Es vermischt sich, alle bringen Ernteprodukte mit und wir kochen zusammen.
J: Und wir bringen auch etwas zum Ernte Dank Fest in die Kirche.
A: Das ist alles ganz herrlich unaufgeregt. Es ist nichts Aufklärerisches dabei. Der Effekt ist aber manchmal da. Zum Beispiel kam eine Schülerin, die eine Hausarbeit machen sollte zu einem jüdischen Thema. Sie hat keine Berührungsängste gehabt und hat sich getraut, uns auszufragen.
JK: Eure Zeitressourcen scheinen nicht groß zu sein, da ihr beide selbstständig seid. Wie steht es um die anderen Ressourcen, auch die Finanziellen?
A: Über die Landeszentrale Politische Bildung haben wir das Projekt „Geschichten aus dem Dorf“ verlängern können.
J: …weil uns nicht klar war, wieviel Arbeit da daran hängt.
A: Es gibt hier einen Dorfvorstand, der sich mit Videobearbeitung auskennt. Er ist hier aufgewachsen und seine Mutter ist hier in der DDR zur Schule gegangen. Und er sagte am Anfang: „Ich zeige euch wie das geht, erkläre euch das alles und dann macht ihr die Interviews selbst.“ Aber dann ist er dageblieben, weil er das höchst spannend findet. Das heißt, er lernt sein Dorf noch einmal von der anderen Seite kennen. Das sind aber so viele hundert Stunden Schnittarbeit, dass wir natürlich nicht wollen, dass er das ehrenamtlich macht.
J: Alle fragen uns: Wie habt ihr das gemacht, dass die Leute euch die Geschichten erzählt haben? Na ja, wir haben das Projekt MIT dem Dorf gemacht. Der Dorfchronist, der die verrückte Geschichte dieses Schulhauses aufgearbeitet hat, hat uns angefragt. Zwei Leute aus dem Dorf, die alle kennen, haben auch mitgemacht. Sonst hätten wir keine Chance gehabt.
JK: Habt ihr eine gute Beratung für die Entwicklung des Ortes oder vertraut ihr völlig auf das Beraten miteinander?
A: Ich habe mal ein Kulturzentrum aufgebaut und geleitet, das ist dreimal so groß, wie die Kulturbrauerei Berlin und Jalda hat Festivals organisiert und geleitet und Unseco-Kulturerbe gemacht. Das brauchen wir nicht, das wissen wir schon.
J: Nicht so gut sind wir mit Zahlen, also Anträge stellen, Buchhaltung, all dieser Kram. Da haben wir aber ein paar gute Freunde, die uns helfen.
JK: Was könnte die Plattform Kulturelle Bildung für euch tun, wenn ihr einen Wunsch frei hättet? Manche wünschen sich eine Agentur, die Produktionsleitung für das Kulturprojekt macht und die es zur Förderung mit dazu gibt. Manche wünschen sich eine Datenbank, in der man nachschauen kann, wer Finanzbuchhaltung für Kulturprojekte kann.
A: Ja auch gerne jemand, der diese Antragssprache spricht. Wir sind beide nicht muttersprachlich deutsch. Es würde uns sehr entlasten, wenn da jemand vom Himmel fallen würde.
JK: Wenn ihr mal aus eurer Perspektive auf Land Brandenburg schaut: Was braucht es, damit Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen gelingen kann?
A: Öffentliche Verkehrsmittel! Jetzt haben wir einen Linienbus, doch ausgerechnet am Wochenende fährt der natürlich nicht. Es braucht natürlich auch schnelles Internet. Und dann auch die Versorgungsmöglichkeit. Wir haben zwar einen Dorfladen, aber leider mit bizarren Öffnungszeiten. Ich fände es auch schön, besser vernetzt zu sein. Bislang geschieht das nur über eine Dorf Whatsapp-Gruppe. Toll wäre es, wenn die Infos auf einer Potsdam-Mittelmark-Seite kompakt gesammelt würden, z.B. unter den Rubriken Solidarische Landwirtschaft, Café, Catering, Taxidienst, Barrierefreies Fahren.
JK: Wie nehmt ihr das Themen Teilhabe, Barrierefreiheit und Mobilität hier wahr? Habt ihr Lösungen?
A: Wir versuchen, so gut es geht barrierefrei zu sein. Aber: Was nützt der Fahrdienst einer Person, die sich kein Taxi leisten kann? Ich würde mir auch wünschen, dass es viel einfacher ist für Menschen, die kein Geld haben. Sie könnten einfach mit einer Art Abonnement ohne Dreimillionen Zettel auszufüllen, etwas abbuchen für Reisekosten oder Kursmaterial. Ich möchte, dass Bildung und Kultur für alle da ist. Die Hürde ist zu groß. Was ich eben nicht möchte, ist, dass die ländliche Bildung und die ländliche Kulturarbeit eine elitäre Geschichte wird.
JK: Klingt wie ein Kulturgutschein für alle, den man für Mobilität, also Bus- oder Taxifahrten, nutzen kann. Den Kulturbus gibt es bereits in anderen Bundesländern. Die erweiterte Idee, nämlich selbst entscheiden zu können, für was ich den Kulturgutschein nutze, ob für Material oder Fahrt oder Workshop-Gebühr, etwa wie die Bildungsprämie, ist toll und ermächtigend.
A: Mir geht es um die Vielfalt. Wir haben hier in Beelitz auch ein Wohngebiet mit Leute, die relativ bildungsfern sind. Ich selber komme aus einer richtig armen Arbeiterfamilie aus dem Ruhrpott, da bin ich natürlich sensibilisiert. Du brauchst dann Glück und du brauchst Menschen, die dich unterstützen. Auf dem Land ist es viel schwieriger, jemanden zu finden. Von daher bräuchte man da wirklich Wind unter die Flügel.
JK: Wind unter die Flügel, schöner Gedanke. Welche Empfehlung würdet ihr dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburg geben wollen?
J: Es gibt die kulturelle Landpartie, wo du mit Bus oder Kutsche von Dorf zu Dorf fahren kannst. Solche Strukturen brauchen wir mehr, nicht nur einmal im Jahr. Es braucht Netzwerke. Es braucht aber auch diesen Fond, nennen wir ihn „Wind unter den Flügeln“, wo Menschen oder Vereine für Menschen, die zu Kultur kommen, Gelder beantragen können.
A: Das ist ganz wichtig von der Seite der Politik, wenn es darum geht, Fördermittel bereitzustellen. Ich würde mir wünschen, dass die Ministerien auch in der Kommunikation, darauf achten, den Leuten klar zu machen: Wir brauchen euch für die Demokratie. Darum sind wir euch dankbar, wenn ihr euch kulturell bildet, wenn ihr mitmacht, wenn ihr euch einbringt, wenn ihr euch ökologisch auf den Weg macht und zwar alle zusammen.
J: Brandenburg! Wenn du die letzten Umfragen anguckst, … da muss etwas passieren. Wir sind es, die vor Ort buddeln. Wir sind es, die vor Ort am Gartenzaun diskutieren.
JK: Ich fand sehr gut gesagt, dass es um eine Haltungsänderung geht. Es geht darum, so hierarchiearm wie möglich zu handeln. Das gilt ebenso für das Dorf, in dem man versteht, dass es nur zusammen geht. Kulturelle Bildung funktioniert über das miteinander reden und vor allen Dingen über das Zuhören.
A: Ja, es geht um das Kennenlernen.
J: Und um Respekt vor dem, was wir alle machen.
JK: Vielen Dank für eure Offenheit und das Gespräch.
Über die Gesprächspartner:innen...
Chasan Jalda Rebling
Schauspielerin, jüdische Kantorin
Seit 45 Jahren ist Jalda Rebling eine welterfahrene und international renommierte Spezialistin für Jüdische Musik vom frühen Mittelalter bis in die Moderne, Director of Studies, European Acadamy for Jewish Liturgy London www.eajl.org.
Mit Experimentierfreudigkeit und Erfahrung überschreitet sie singend und spielerisch traditionelle Grenzen um Altes und Neues zu verknüpfen.
Sie war 50 Jahre lang eine leidenschaftliche Berlinerin und ist heute eine dankbare Brandenburgerin.
Anna Adam
Diplompädagogin für Erwachsenenbildung und außerschulische Jugendbildung, bildende Künstlerin
Anna Adam liebt die berufliche Vielfalt. Sie begann in den 80er Jahren als Museumspädagogin, Dozentin und Eventmanagerin, konzentrierte sich in den 90er Jahren auf ihre Karriere als Malerin, Objektkünstlerin und Bühnenbildnerin und verbindet seit dieser Zeit kreativ all ihre vielseitigen Talente zur Durchführung zahlreicher Projekte in Museen, im öffentlichen Raum und in der Bildungslandschaft.
2001/2002 konzipierte und baute sie im ethnologischen Museum Berlin das Juniormuseum und ebenfalls in dieser Zeit gelang ihr mit ihrer Satire-Kunst-Reihe „Feinkost ADAM-Produkte zur Heilung der Deutsch-Jüdischen Krankheit“ der internationale Durchbruch.
Anna Adam lebt und arbeitet jetzt in Brandenburg