Darunter tun wir es nicht!

Ein Essay von Juni&März – Performance Duo aus Potsdam und aktuell verantwortlich für die Evaluation „Gelingensbedingungen von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen 2022“ der Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg.

So heißt es bei De Perrot und Wodiunig in „Evaluieren in der Kultur: Warum, was, wann und wie? – Ein Leitfaden …“. Wir lassen uns inspirieren von Fachliteratur, die uns eine Ahnung davon gibt, was die verschiedenen Wissenschaften sich unter Evaluation vorstellen, halten uns aber weniger an einen vorgegebenen Leitfaden, als erst einmal an unsere intrinsische Motivation, die uns zur Verbesserung der Welt aufruft und, mit der Möglichkeit der Aufgabe einer Evaluation im Bereich der Kulturellen Bildung, sofort aktiv werden lässt. Unser Kunstmotor ist angeworfen. Wir betrachten gespannt den Radar. Wir strecken alle Fühler in alle Richtungen aus. Der Verstand ist geschärft. Alle Sinne sind an Bord. Das Herz ist weit. Es gibt eine Frage, die es zu erforschen gilt und wir werden nicht enden, ehe …

Wir, die wir Performer:innen sind, verlassen unsere „Black Box“ (Seitz 2009). Sie ist schon längst nicht mehr nur ein schwarzer Raum, sondern hat sich im Laufe der Jahre selbst aufgelöst hin zu diversen Lebensräumen, denn Theater ist nun mal da, wo die Menschen sind. Wir stellen uns mit Haut und Haar in den Dienst der Kulturellen Bildung. Nicht geringer können wir das benennen, was wir aktuell für die Kulturelle Bildung tun. „Darunter tun wir es nicht!“, sagt Nicola Bramkamp bei der 4. Regionalkonferenz des Landes Brandenburg „Kultur hat Zukunft – Klima als Querschnittsaufgabe in der Kultur“ am 25. August 2022 auf dem Waldcampus der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in ihrem Vortrag zu „Save the world e.V.“ und meint nichts weniger als die wirkliche Rettung der Welt. Ihr Verein bringt Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und Expert:innen zusammen, um wissenschaftliche Erkenntnisse künstlerisch zu übersetzen, groß zu inszenieren und somit emotional erfahrbar zu machen – „I need air“, ein Song mit dem Kinder- und Jugendchor der Oper Bonn (Bernadette La Hengst), eine Installation aus Milliarden Reiskörnern, die Statistiken sichtbar machen (James Yarker) oder eine Performance, die Gott auftauchen lässt (Suse Wächter). Klimawandel zum Anfassen und Mitsingen.

Dass Kunst und Wissenschaft sich bereichern, ist unbestritten, sind doch beide, so unsere Behauptung, in ihren Ur-Prozessen schöpferisch und visionär tätig. Inwieweit Kunst mit ihren vielseitigen Methoden Forschung sein kann und ebenso vergleichbare, verifizierbare Erkenntnisse liefert wie die Wissenschaft, wird in dem Diskurs um „artistic research“ stets aufrecht erhalten, manchmal in einem Nachruf der FAZ für tot erklärt (Ute Pinkert, 2017). „Als Kriterien künstlerischer Forschung werden die Welterschließung und -gestaltung im Austausch mit anderen Wissenschaften sowie die Dokumentation der Forschungsprozesse und Verbreitung dieser Erkenntnisse genannt.“ (Lobert, 2020) Dem Grundsatz folgen wir als kleinstem gemeinsamen Nenner und wollen uns in dem Diskurs erst gar nicht weiter verlieren, sind wir doch schon längst überzeugt von der Kraft der Kunst auf allen Gebieten.

Mit Leitfragen gestützten Interviews, generiert aus aktuellen Studien und eigenen Erfahrungen in vielen Projekten, besuchen wir ausgewählte Projekte aller Sparten aus den beiden Förderprogrammen 2020 bis 2022 der Plattform Kulturelle Bildung in ihren ländlichen Räumen. Dabei dürfen diese im Gespräch auch ins Narrative abdriften, denn wir befinden uns mit Beginn der Begegnung in einem kollektiven Schöpfungs- und Bildungsprozess, in einer „temporären Komplizenschaft“ (Seitz 2009) und versuchen gemeinsam herauszufinden, „wie Individuen aktiviert, Gemeinschaften gestärkt, Identitäten gestiftet und Bedeutungen generiert werden.“ (Seitz, 2015/2013).

Im „Gespräch unter Kolleg:innen“ fragen wir uns im Rahmen der Evaluation speziell: Welche Rahmenbedingungen brauchen Kulturakteur:innen und Einrichtungen der Kulturellen Bildung, um Angebote nachhaltig zu etablieren? Unter welchen Bedingungen müssen welche Arten von Netzwerken aufgebaut werden, um die Zielgruppen zu erreichen? Und auf welche Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung kann dabei zurückgegriffen werden?

Ute Pinkert beschreibt, die Forschungsperspektive innerhalb der Forschung zu Kultureller Bildung „wäre […] auf die künstlerisch-pädagogische Praxis selbst zu lenken: Auf welche Weise wird innerhalb dieser Praxis welches Wissen generiert?“ (Pinkert, 2017) Kontinuierlich reflektierend lernen wir, wie wertvoll es für alle in der Evaluation Beteiligten ist, von den Interviewten bis zu den  Rezipient:innen, wenn wir uns selbst in unserer Herangehensweise beobachten.

Wir stellen nicht nur Fragen. Mit unserem „Vor Ort sein“ erfühlen und erfahren wir den Aktionsraum der einzelnen Projekte, die Inhalte, aber auch die Emotionen der anwesenden Macher:innen. Die Freude, die Unsicherheiten, die Überforderungen, das Verbunden sein. Ein Spannungsfeld – unser Radar blinkt auf. Aber nicht nur der Unsrige…

Mit dem Betreten des Feldes verändern wir es im gleichen Atemzug (Rogg, 2020). Mit Kamera und Mikrophon „bewaffnet“ lösen wir Ängste bei unseren Gesprächspartner:innen aus, die wir mit Empathie und Expertise wieder auflösen dürfen, um Herausforderungen und Schmerzpunkte zur Sprache zu bringen. Nur durch Mit-Teilung können sie aufgenommen und evaluiert werden, und letztendlich, so hoffen wir, denn „darunter tun wir es nicht“, Veränderung bringen. Zum Tausch haben wir aber auch Geschenke im Gepäck. Wir geben Raum, Raum für Wertschätzung. Wir sind wirklich interessiert, an dem, was hier passiert. Wir hören zu. Wir lassen ausreden. Wir fragen nach. Wir lassen nachfragen. Wir schenken Zeit. Wir fühlen mit. Wir teilen. Wir sind kollektiv.

Unsere wissenschaftliche Aufgabe, eine Erhebung zu „Gelingensbedingungen von Kultureller Bildung in ländlichen Räumen“, nehmen wir sehr ernst. Dabei bedienen wir uns der Leichtigkeit, die uns das Spiel gelehrt hat, auf dass wir genau die Dinge entdecken dürfen, die in keinem Leitfaden stehen können, sondern sich immer wieder neu im Feld selbst schöpfen.

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Verwendete Literatur

  • De Perrot, Anne-Catherine; Wodiunig, Tina (2008): Evaluieren in der Kultur: Warum, was, wann und wie? Ein Leitfaden für die Evaluation von kulturellen Projekten, Programmen, Strategien und Institutionen. Migros-Kulturprozent, Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia
  • Rogg, Ursula (2019): Das Feld betreten heißt das Feld verändern – Kopaed München
  • Seitz, Hanne (2009): Temporäre Komplizenschaften – Künstlerische Intervention im sozialen Raum, In: Konglomerationen – Produktionen von Sicherheiten im Alltag, Transcript Verlag

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