Vertragsarbeiter aus Mozambik in Brandenburg
Vertragsarbeiter aus Mozambik in Brandenburg, Foto: David Macou (privat)

Erinnern für die Zukunft – Erfahrungen von Rassismus, Segregation und Ausbeutung und ihre Folgen

Ein Blogbeitrag der Initiative Cottbus 92

Die Initiative Cottbus 92 hat es sich zur Aufgabe gemacht, die pogromartigen Angriffe auf eine Geflüchtetenunterkunft, die vom 29. bis 31. August 1992 in Cottbus-Sachsendorf stattfanden, erinnerungspolitisch aufzuarbeiten. Ziel ist es, ein öffentliches Gedenken anzustoßen, das eine intersektionale und an die Betroffenen anschließende Perspektive in den Mittelpunkt stellt.

Wir verorten unsere erinnerungspolitischen Suchbewegungen im Kontext der komplexen und widersprüchlichen Kämpfe um Erinnerung und Zugehörigkeit innerhalb einer postkolonialen, postnationalsozialistischen und postsozialistischen Gesellschaft (El Tayeb 2016). Gleichzeitig richten wir unseren Blick auf die lokale Ebene, um angesichts der komplexen sozialen und politischen Gemengelage in Cottbus besser verstehen zu können, wie verschiedene Verhältnisse und Prozesse der rassistischen Ausgrenzung und Gewalt bis heute (re)produziert werden, etwa wenn Täter:innen zu Opfern gemacht werden, die Betroffenen von rassistischer Gewalt und Ausgrenzung unsichtbar bleiben oder Rassismus bagatellisiert wird.

Cottbus ist auch weiterhin ein lokaler Schwerpunkt rechter Gewalttaten in Brandenburg (vgl. Homepage Opferperspektive). Wir wollen die Geschichte und Gegenwart von Rassismus und rechter Gewalt in Cottbus thematisieren, Praktiken des Widerstands dagegen betrachten und in den stadtgesellschaftlichen Diskurs intervenieren.

Inhalte und Erkenntnisse unserer Veranstaltung im HBPG

Am 18.05.2022 organisierten wir im Rahmen des Begleitprogramms der Ausstellung „MORGEN in Brandenburg. Werkstatt der Zukünfte“ ein Gespräch mit Aktivisten und ehemaligen Schülern und Vertragsarbeitern aus Mosambik. Zu Gast waren Albino Forquilha und David Mavinguane Macou, die als Schüler und als Vertragsarbeiter in der DDR lebten. Beide kehrten nach der „Wiedervereinigung“ nach Mosambik zurück und engagieren sich politisch für eine Anerkennung und Wiedergutmachung für die sogenannte Gruppe der „Madgermanes“ [Bezeichnung für die ehemaligen und zurückgekehrten Vertragsarbeiter:innen in Mosambik, umgangssprachlich: „diese Deutschen“]. Die „Madgermanes“ organisieren regelmäßig politische Aktionen und Demonstrationen in Maputo, um eine Wiedergutmachung ihres Unrechts einzufordern, das sie während ihrer Zeit als Arbeiter:innen und Auszubildende in der DDR erfuhren. Dabei richten sie ihre Forderungen sowohl an die deutsche als auch an die mosambikanische Regierung und Zivilgesellschaft.

Im Gespräch mit Vertreter:innen der Initiative Cottbus 92, das über eine Online-Live-Schaltung stattfand und simultan vom Portugiesischen ins Deutsche übersetzt wurde, illustrierten Albino Forquilha und David Macou die Hintergründe und Motive für ihre politischen Kämpfe und Mobilisierungen. Sie berichteten über ihre damaligen Erfahrungen, ihre Erlebnisse in den Jahren der Transformation und ihren Kampf um Anerkennung ihrer Rechte.

Forquilha kam 1982 in die DDR und besuchte als Schüler die „Schule der Freundschaft“ in Staßfurt, damals im Bezirk Magdeburg und heute Sachsen-Anhalt. Die „Schule der Freundschaft“ wurde auf Initiative der damaligen Ministerin für Volksbildung Margot Honecker initiiert und galt als Zeichen einer Politik der Solidarität und der „Völkerfreundschaft“. Auf Grundlage des Vertrages vom 29.10.1981 besuchten 900 Schüler:innen aus Mosambik und ab 1985 400 namibische Jugendliche die Schule. Sie lebten segregiert von der lokalen Bevölkerung auf dem Internatsgelände. Forquilha erhielt in Staßfurt eine allgemeine Schulbildung und absolvierte danach eine Berufsausbildung im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus beim Chemieanlagenbau in Staßfurt. Er berichtete von rassistischen Erfahrungen und Angriffen, u.a. durch Neonazis, die er und seine Mitschüler:innen während der Zeit in Staßfurt erlebten. Er kehrte Ende 1988 zurück nach Mosambik. Dort wurde er zum Militärdienst im Kontext des Bürgerkrieges eingezogen. Seit 1993 lebt er wieder in Maputo und ist schon lange in einer Kommission aktiv, die sich für „Rückzahlung und Gerechtigkeit“ (Zitat von Forquilha in Peripherie 165/166) einsetzt und ihren Forderungen u.a. durch Protestmärsche und Vernetzungen Gewicht verleiht.

Macou kam 1979 in die DDR, um im damaligen Bezirk Cottbus im Braunkohlekombinat (BKK) Senftenberg im Bereich des Bergbaus zu arbeiten. Die DDR hatte am 24.02.1979 mit Mosambik einen Vertrag „über die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben der DDR“ abgeschlossen (vgl. Döring 2022). Infolgedessen reisten zwischen 1979 und 1990 17.100 junge Mosambikaner:innen im Alter von 18-25 Jahren in die DDR (vgl. ebd.). Wie im bilateralen Vertrag vorgesehen, erhielt Macou eine vierjährige „Teilausbildung“. Als Ergebnis erhielt er 1984 ein Diplom als „Facharbeiter“. Wie viele andere Vertragsarbeiter:innen erfuhr er, dass „eine Unterscheidung“ hinsichtlich Qualifizierung und Tätigkeit zwischen ihm und den deutschen Kolleg:innen gemacht wurde. Zwar waren vertraglich gleiche Löhne vorgesehen. Jedoch wurden Vertragsarbeiter:innen tendenziell bei Tätigkeiten eingesetzt, die körperlich sehr anstrengend und deswegen bei der DDR-Bevölkerung unbeliebt waren (vgl. Poutrus 2005). Ferner berichtet Macou von rassistischen Herabwürdigungen bei der Arbeit sowie Angriffen in der Freizeit, etwa wenn er mit Freund:innen abends ausging: „Es gab Stress mit der Jugend draußen; wenn wir alleine ausgingen, wurden wir angegriffen.“ (Zitat von Macou in Peripherie 165/166). Macou begann damals politisch aktiv zu werden. Durch Bildungs- und Vernetzungsarbeit initiierte er Räume des Austausches mit der Stadtgesellschaft, um eine „Kultur des Verständnisses“ (ebd.) zu fördern. Er kehrte 1992 nach Maputo zurück.

Beide berichteten eindrücklich von ihren Erfahrungen des Rassismus, der Segregation und Ausbeutung in der DDR sowie von Missachtung und Abwertung nach ihrer Rückkehr nach Mosambik. Im Falle von Forquilha, der exemplarisch für die Erfahrungen der ehemaligen Schüler:innen spricht, wurden die Abschlüsse und Bildungserfahrungen aus der DDR nicht anerkannt. Im Falle von Macou, der die Gruppe der Vertragsarbeitenden vertritt, wurde ein Großteil der Löhne einbehalten; zudem haben sie die in der DDR geleisteten Sozialbeiträge niemals erhalten. Hintergrund ist, dass die Vertragsarbeitenden einen Teil von ihrem Lohn (erst 25 Prozent, dann zwischen 1986 und 1988 waren es 60 Prozent des Nettolohnes über umgerechnet ca. 350€) nach Mosambik transferieren mussten. Dieser „Nettopflichttransfer“ wurde automatisch abgezogen und auf Konten in Mosambik überwiesen. Allerdings waren die Konten nach der Rückkehr leer und es erfolgten keine oder nur sehr geringe Teilauszahlungen (vgl. Peripherie 165/166).

Aufgrund dieser Situation wurde in Mosambik eine Kommission gegründet, die versuchte den Grund für die Vertragsverletzungen herauszufinden, von der mosambikanischen Regierung aber keine Antwort erhielt und Kontakte nach Deutschland aufbaute. So kämpfen mehrere Organisationen, die in Mosambik gegründet wurden und unter der Dachorganisation (Associação dos Moçambicanos na Alemanha) gebündelt werden, transnational um die Anerkennung ihrer Rechte. Die Forderungen, die Rechte der Arbeiter:innen zu respektieren und anzuerkennen, sowie die deutschen Abschlüsse in Mosambik anzuerkennen, richten sich sowohl an die deutsche als auch an die mosambikanische Regierung. Über politische Verhandlungen, aber auch Protestformen wie Demonstrationen und Protestmärschen tragen sie ihre Forderungen regelmäßig in den öffentlichen Raum. Ein Video von einem dieser Protestmärsche wurde auch auf der Veranstaltung in der MORGEN-Ausstellung gezeigt.

2019 fand eine Konferenz in Magdeburg statt, in welcher von mosambikanischen Arbeiter:innen in Deutschland und den ehemaligen Schüler:innen der Freundschaft ein Memorandum erarbeitet wurde. Die während der Konferenz gegründete Gemischte Kommission (Comissão de Continuidade) versucht dieses Memorandum nun umzusetzen

Für weitere Informationen möchten wir das Feature von Radio Dreyecksland zur Situation von Mosambikaner:innen, die in die DDR gekommen waren, nach 1990 empfehlen. Es kommen u.a. auch Macou und Forquilha zu Wort. Das Feature ist verfügbar unter: https://rdl.de/beitrag/wir-waren-schutzlos-mosambikanerinnen-nach-der-wende

Literatur

Döring, Hajo (2022): Mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR, Interview mit Madgermanes in Maputo. Bittere Solidarität: Hintergründe zum Gruppeninterview. In: PERIPHERIE Nr. 165/166, 42. Jg., S. 11-14.

El Tayeb; Fatima (2016): Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: Transcript.

Piesche, Peggy (2020): Labor 89: intersektionale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost. Berlin: Yılmaz-Günay.

Rommelsbacher, Birgit (2005): Rommelspacher, Birgit (1995): Dominanzkultur: Texte zu Fremdheit und Macht. 2. Auflage. Berlin: Orlanda Frauenverlag.

Backhouse, Maria; Mutter, Theo; Trzeciak, Miriam Friz (2022): Mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Interview mit Madgermanes in Maputo. PERIPHERIE Nr. 165/166, 42. Jg. 2022, S. 14-30.

Poutrus, Patrice G. (2005): Die DDR, ein anderer deutscher Weg? Zum Umgang mit Ausländern im SED-Staat. In: Rosmarie Beier-de Haan (Hg.), Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500–2005, Berlin/Wolfratshausen: Deutsches Historisches Museum/Edition Minerva, S. 120-133.