Im Atelier von Katja Martin, Max-Programm
Max-Atelier Pritzwalk 2024_Katja Martin©BKG: Gordon Welters

Katja Martin: Im ländlichen Raum ist Kunst sehr direkt!

Katja Martin ist Stipendiatin des Max-Artists in Residence Programm im Johann-Wolfgang-von-Goethe Gymnasium in Pritzwalk.

Jana Kühn im Interview mit Katja Martin
30. Mai 2024

Katja magst du einen kurzen Einblick in dein Schaffen geben?

Ich habe Bildhauerei studiert, sehr traditionell in Halle. Dort habe ich mich etwas gerieben an der handwerklichen Bindung meines Professors. Zu dieser Zeit war ich auf Kontraste aus und habe nach Möglichkeiten gesucht mit etwas anderem in Kontakt zu kommen. Ich habe mich angezogen gefühlt von Inge Mahn, die bei Joseph Beuys studiert und in Berlin Weißensee eine Professur inne hatte. Konfrontation und Kontrast hat mich dann auch weiterhin begleitet. Ich stamme ursprünglich aus Dresden. Das ganze Barocke und das Kulturbürgertum hat mich immer ein bisschen aufgeregt. Insofern empfand ich es als eine positive Herausforderung, irgendwo zu sein, wo Kunst nicht so ein Kulturbürgerbegriff ist. Jetzt bin ich Bildhauerin im ländlichen Brandenburg, ganz im Nordwesten, wo man ganz wenig städtische Bezüge erlebt. Das ist eine Aufgabe. Mir persönlich ist die Vermittlung von Kunst ein ziemliches Anliegen. Gern arbeite ich mit partizipativen Möglichkeiten der Kunst. Im ländlichen Raum ist Kunst sehr direkt. Man wird damit konfrontiert „funktioniert das“ oder „funktioniert das nicht“. Das interessiert mich.

Neben deinem ständigen Atelier in Groß Pankow hast du ein MAX-Atelier im Johann-Wolfgang von-Goethe-Gymnasium Pritzwalk bezogen. Gibt es hier auch Kontraste? Was motiviert dich?

Gymnasium ist für mich ein Sonderfall von Schule. Ich erlebe die Schüler immer sehr angespannt und im Stress, auch im sozialen Stress. So wirklich frei, wie ich mir die Schüler:innen wünschen würde, erlebe ich sie ganz selten, fast nie. Ich sehe die jungen Menschen in der Schule in so einer Art Transformation. Sie sind keine Kinder mehr, sie sind aber auch keine richtigen Erwachsenen. In der Schule wollen Lehrer:innen die jungen Menschen formen. Das hören Lehrer:innen wahrscheinlich selten gerne. Es ist außerdem auch in einer Kleinstadt so, dass es um Anpassung geht. Viele Schüler:innen wachsen in einem sozialen Umfeld auf, welches oft große Familien beinhaltet. Die Unmittelbarkeit mit den Generationen ist hier sehr präsent. Der Bezug zu Großeltern sehr stark. Und dazu die großen Fragen: Wer bin ich? Was will ich denn? Mir ist es ein großes Bedürfnis die Schüler:innen in ihrem Sein abzuholen.

 

Kunst ist eine Art Kommunikation um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.

Wie arbeitest du mit den Schüler:innen? Wie lädst du zu welchen Prozessen ein? Mit welchen Themen „konfrontierst“ die Schüler:innen? Welche Materialien lässt du ausprobieren?

Ich gebe ungern selber Themen vor, aber lustiger Weise, sind die Schüler:innen das in der Schule so gewohnt. Es ist herausfordernd ohne Themen zu arbeiten. Mich selbst interessieren die Themen, die die Jugendlichen bewegen. Mich interessiert die weibliche Perspektive. Es gibt auch manchmal Jungs, die sie einnehmen und für sie ist es auch gar nicht leicht. Kunst ist eine Art Kommunikation um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Sie ist eine Mittlerin. Die Wahl des künstlerischen Materials wird dadurch beeinflusst, inwieweit in Dingen und Werten gesellschaftliche Veränderungen ablesbar sind. Die Hintergründe der gelebten Dinge werden so sichtbar.

Wir sitzen in deinem Atelier und schauen auf verschiedene, tolle Arbeiten. Ich sehe, dass ihr mit Bleistift, mit Farbe arbeitet. Hier vor uns liegt eine Arbeit mit Stoffen und Stickereien. Zum Beispiel diese Arbeit, wie beginnst du die? Was ist die Aufgabe?

Die Arbeit, die hier liegt, geht um Werte. Ja, das ist ein fetter Begriff. Ich arbeite ab und zu auch im Altersheim. Da gibt es tatsächlich Fraeun, die noch sticken. Ich habe ein Langzeit-Kunstprojekt zum Thema Aussteuer gemacht. Das Thema Werte hängt damit unmittelbar zusammen. Ich habe Statements von den Schüler:innen zu Werten erfragt. Teilweise haben mir die Schüler:innen nur Worte gegeben. Die Frauen im Altersheim habe ich dann gebeten, mir das zu sticken. Daraus möchte ich etwas Gemeinsames machen, ein großes Stoffstück zusammenfügen.

Du bist auch in der Museumsfabrik Pritzwalk tätig und lässt die Druckkunst wieder erlebbar werden. Wie arbeitest du mit den Schüler:innen dort?

Das Gymnasium und das Museum arbeiten schon 5 Jahre zusammen. Mit dem Museum haben wir uns gemeinsam ausgedacht, eine Studiumssituation zu erschaffen. Das heißt, dass die Schüler:innen des Seminarkurses Kunst ein halbes Jahr Zeit haben und eingeladen sind zu einem bestimmten Thema ihre persönliche Meinung in bildhafter Art und Weise mit dem Medium Druckkunst darzustellen. Hauptsächlich arbeiten wir mit Linolschnitt und Siebdruck. Es werden in der Themenfindungsphase Dozent:innen eingeladen, die ihre Position darstellen, über die dann diskutiert wird. Die Schüler:innen teilen sich im Kurs selbst ihre Zeit ein. Spannend für mich: Wenn die Schüler:innen im Museum sind, sind sie junge Erwachsene, sobald sie wieder in die Schule kommen, sind es eben Schüler:innen. Es geht in dem Projekt darum, unterschiedliche Sachen auszuprobieren. Sie erfahren, dass Feedback auch aus der Gruppe kommen kann, auch von uns, aber vor allen Dingen, dass man sich das Feedback von anderen einfach einfordern kann.

 

Beendet der Perfektionismus!

Das Max-Programm lädt ja auch dich als Künstlerin ein, um Schüler:innen an deiner Kunst teilhaben zu lassen… An was arbeitest du gerade? Wie beeinflussen die Arbeiten der Schüler:innen deine eigene Arbeit? 

Es beeinflusst mich stark. Ich bin hier angekommen und habe Befragungen gemacht, was die Schüler:innen denken, was Kunst ist und was Kunst kann. Das hat mich überrascht und das war sehr schönes Feedback, auch die Wünsche, die die Schüler:innen damit verbunden haben. Leider findet es nicht so statt, bunte Schulflure zum Beispiel. Gleich am Anfang habe dieses Bild gemacht – „Beendet der Perfektionismus“. Ich musste auf mein Umfeld reagieren. Ich habe angefangen viel mehr zu zeichnen, größere Sachen, und die auch abzuwandeln, und mit dem Siebdruck zu arbeiten. In dem Rahmen, den ich hier habe, habe ich versucht mit den Schüler:innen freiwillig diese Übersetzung in die Drucktechniken zu machen. Hier muss immer unmittelbar etwas passieren. Aktuell überlege ich, ob ich eine Situation anzettele, bei der man draußen Graffiti machen kann. Das interessiert die Schüler:innen immer. Ich denke, ich überlege, ich versuche es zu übersetzten und ich orientiere mich sehr an diesen Schüler:innen. Ich hatte neulich eine Schülerin hier, die jetzt fertig ist. Sie kam hier herein und sagte, wie anregend es hier ist. Das hat sie nie gesagt, solange sie hier in der Schule war. Sie hat den Raum während der Schulzeit vielleicht nie so wahrgenommen. Da ist mir die Gänsehaut gekommen.

Wie wirkt ein Max-Atelier nach Pritzwalk hinein?

Pritzwalk ist tatsächlich ein dickes Brett. Es gibt Kunst hier nicht. Es kommt nicht vor. Es gibt die Kunstfreunde, die machen ihre Ausstellungen. Die Leute, die kommen, kommen von weither. Über die Kunstaustellungen im Museum von den Schüler:innen gibt es diese Berührung. Natürlich. Die Abläufe, die dazugehören, kennen die Schüler:innen und den Raum nehmen sie sich auch gerne, wenn er angeboten ist. Aber, dass sie selbst darauf kommen: „Ich will mich mit der Welt hier draußen konfrontieren“ Das ist nicht der Fall.

Magst du noch etwas zum Abschluss sagen?

Für mich geht es darum, was macht denn das Kreative…wie kann ich das Kreative aus mir herausholen, um das für mich auch zu nutzen. Und wenn ich „mich“ sage, meine ich jeden. Ich finde es eigentlich ganz schön, dass die Leute hier das Unmittelbare haben.

 

 

 

Über Katja Martin

Katja Martin studierte an der Burg Giebichenstein Halle und der Kunsthochschule Berlin Weißensee Freie Kunst/Bildhauerei, zusätzlich  ein  Aufbaustudium in Kunsttherapie am Goldsmiths College London. 2006 gründete sie die Künstler:innen-Kooperative Atelier im Grünen und 2018 die Künstlerkooperative mobiler Kunstraum zur Kunstvermittlung im Ländlichen Raum. Seit 2022 ist sie im Vorstand des bbk Brandenburg um mit der Besonderheit: Kunst im Flächenland Brandenburgs, aktiv umzugehen. Neben vielfältigen Einzel- und Gruppenausstellungen erarbeitete sie partizipative Kunstprojekte speziell für den ländlichen, öffentlichen Raum und für Festivals.

 

 

Das Programm „Max – Artists in Residence an Brandenburger Schulen“ ist ein Programm der Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg auf Initiative der Stiftung Brandenburger Tor und wird gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburg und der Schering Stiftung.