Eine Frau in Rückenansicht und dreiviertel Portrait mit einem rituellen Wedel vor einem großen Backsteingebäude.
Signale der Macht - Rituelle Verbindung von Tuli Mekondjo in der Funkanlage Nauen_(c)-kristina-tschesch

Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek

Die Rolle der Telekommunikationstechnologie als koloniales Machtinstrument

Ausstellung: 16.5. – 2.11.2025
Im Brandenburg Museum für Zukunft, Gegenwart und Geschichte

Am 15. Mai eröffnete das Brandenburg Museum für Zukunft, Gegenwart und Geschichte die Ausstellung „Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek“. Sie widmet sich der Rolle der Telekommunikationstechnologie als koloniales Machtinstrument und zeigt Geschichte, Erinnerungskultur und künstlerische Werke im Dialog.

Technologiegeschichte wird bislang kaum als Aspekt kolonialer Geschichte verstanden. Sie ist jedoch Teil eines Wirkungskomplexes, der unsere Gesellschaften noch immer prägt. Auch im heutigen Informationszeitalter beeinflussen digitale Infrastrukturen globale Machtverhältnisse. Fragen nach Datensouveränität, Zugang zu Mediennetzwerken oder Plattformkontrolle entscheiden über globale Teilhabe, Meinungshoheit und wirtschaftliche Dominanz.

Im brandenburgischen Nauen steht die einzige, bis heute funktionierende Großfunkstation der Welt. Die 1906 errichtete Großfunkstation war die erste ihrer Art in Deutschland und spielte im Deutschen Kaiserreich eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung des imperialen Machtanspruchs. Die Grußfunkstation Nauen ermöglichte eine weltweite, transkontinentale Funkverbindung und diente der direkten Kommunikation mit den deutschen Kolonien in Togo und Namibia. Als Zentrum eines globalen Telekommunikationsnetzwerks war die Station ein entscheidendes Instrument, um die koloniale Macht zu festigen, die Verwaltung zu koordinieren und militärische sowie wirtschaftliche Interessen zu sichern.

Die vom Brandenburg Museum in Auftrag gegebenen künstlerischen Arbeiten von Tuli Mekondjo, Madjé Ayité sowie von Frederike Moormann und Angelika Waniek und archivarische, dokumentarische Positionen der Kurator:innen Dr. Katalin Krasznahorkai und Prof. Dieter Daniels laden dazu ein, die koloniale Geschichte nicht als etwas „Fremdes“ oder „Abgeschlossenes“ zu betrachten, sondern als Teil einer bis heute verbundenen gemeinsamen Geschichte. „Signale der Macht“ zeigt drei erinnerungskulturelle Perspektiven und schafft Raum für postkoloniale Kunst- und Erinnerungspraxen – lokal verankert, global vernetzt.

DIE AUSSTELLUNG

Die Ausstellung „Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek“ zeigt eine Videoarbeit und eine künstlerische Installation der namibischen Künstlerin Tuli Mekondjo, einen Film des Filmemachers Madjé Ayité aus Togo und eine audiovisuelle, immersive Installation der deutschen Künstlerinnen Frederike Moormann und Angelika Waniek. Ergänzend zu den künstlerischen Arbeiten wird auf einer Achivwand Einblick in den Rechercheprozess gegeben, mit teilweise noch nie veröffentlichtem Material. In drei Videonarrationen werden die Geschichten der einzelnen Stationen in Nauen, Kamina und Windhoek zusammengefasst präsentiert. In der Brandenburg.Ausstellung wird ein neues Objekt in die Sammlung integriert, das auch nach der Ausstellung dauerhaft zu sehen sein wird. Als Erweiterung der Ausstellung ist auch die Transcultural Listening Map der Bauhaus Universität Weimar zu sehen, die mit Prof. Nathalie Singer, Lefteris Kysalis und mit Frederike Moormann entwickelt und realisiert wurde.

PROGRAMM ZUM ERÖFFNUNGSWOCHENENDE

17.5.2025, 17–19 Uhr
Community Event
Essen & Macht. Die Politik dessen, was wir essen

Im Rahmen der Ausstellung „Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek“ nehmen wir die subtilen und offenen Formen von Kontrolle und Macht unter die Lupe und gehen dabei einen Schritt weiter: an den Esstisch. Denn auch dort wird Geschichte geschrieben – und Macht ausgeübt. Gemeinsam mit Black and White Unite for Human Rights e.V. laden wir euch zu einem Community-Event ein, das Essen als kulturelles Erbe, als koloniales Instrument und als politische Angelegenheit versteht.

Speziell für diesen Abend zubereitete Gerichte, die Geschichten erzählen von Migration, Widerstand und Erinnerung werden gereicht. Eine Führung durch die Ausstellung „Signale der Macht“ mit der Kuratorin Dr. Katalin Krasznahorkai lädt ein, gemeinsam zu entdecken, wie Essen, Macht und Erinnerung miteinander verwoben sind. Die Veranstaltung ist kostenfrei. Eine Anmeldung wird empfohlen.

18.5.2025, 11 Uhr und 13 Uhr
Dialogführung
„Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek“

Im Rahmen des Eröffnungswochenendes der Ausstellung „Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek“ sowie anlässlich des Internationalen Museumstags laden wir herzlich zu zwei besonderen Dialogführungen durch die aktuelle Ausstellung ein.

Die Kurator:innen Dr. Katalin Krasznahorkai (Brandenburg Museum) und Prof. Dieter Daniels (HGB Leipzig) bieten eine Dialogführung mit dem togolesischem Wissenschaftler Dr. Patrice Kodzo Abotsi (Universität Lomé) an. Begehen Sie die Ausstellung und diskutieren die Verbindung zwischen Telekommunikation und kolonialer Machtausübung, die bis ins Heute nachwirkt.

Der Besuch der Ausstellung „Signale der Macht. Nauen, Kamina, Windhoek“ ist am gesamten Eröffnungswochenende kostenfrei. Eine Anmeldung wird empfohlen.

24.8.2025, 12 Uhr
Save the Date
Kulturfest in der Großfunkstation Nauen

Am 24. August 2025 lädt das Brandenburg Museum zu einem Kulturfest in die ehemalige Großfunkstation Nauen ein. An diesem sonst nicht öffentlich zugänglichen Ort werden künstlerische Arbeiten gezeigt, die sich im Spannungsfeld zwischen Technologie, Macht und Erinnerung bewegen. Die Veranstaltung lädt dazu ein, das Gelände nicht nur als technisches Denkmal, sondern auch als einen Ort geschichtlicher Echos zu erleben. Das Areal rund um die älteste noch aktive Funkstation der Welt wird zum Resonanzraum für künstlerische Interventionen, die die Verbindung von Kommunikationstechnologie und kolonialer Geschichte erfahrbar machen.

Im Mittelpunkt des Festes steht ein ortsspezifischer Audiowalk der Künstlerinnen Frederike Moormann und Angelika Waniek in Zusammenarbeit mit Nashilongweshipwe Mushaandja. Mit dem Hören und Gehen rund um die Funkstation entsteht eine neue Verbindung zwischen den Orten Nauen, Kamina und Windhoek, die einst durch koloniale Gewalt miteinander verknüpft waren. Das Grande Finale führt in die einstige „Kathedrale der Hochfrequenz“, in der Gundolf Nandico mit einem musikalischen Akt gegen den Symbolbau anspielt. So wird das Areal selbst zum Akteur in einem Verbund aus Vergangenheit, Gegenwart und Imagination.

Das Kulturfest lädt ein, die historischen Tiefenschichten dieses Ortes neu zu entdecken. Die Veranstaltung ist kostenfrei. Der Audiowalk dauert ca. 70 Minuten. Weitere Informationen folgen in Kürze auf www.brandenburg.museum.

PROJEKTTEAM

DR. KATALIN KRASZNAHORKAI (Kuratorin)

Dr. Katalin Krasznahorkai ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Autorin, derzeit Leitende Kuratorin bei der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte sowie Programmleiterin des Brandenburg Museums und Co-Kuratorin von „Signale der Macht“.
In ihrer kuratorischen Praxis und Forschung analysiert sie die Verbindung zwischen Kunst und Machtverhältnissen mit Fokus auf unterrepräsentierte Geschichten.

PROF. DR. DIETER DANIELS (Kurator)

Professor Dieter Daniels (geb. 1957, Bonn) ist Kunsthistoriker und Medientheoretiker. Er gründete 1984 die Videonale Bonn mit, leitete 1991 – 1993 die ZKMMediathek und war 1993 bis 2024 Professor an der HGB Leipzig. Seine Forschungen zu Duchamp, Fluxus sowie Medienkunst und Radiogeschichte

sind grundlegend für das Fachgebiet. Seit 2021 hat er koloniale Aspekte historischer Funktechnologie untersucht. Daniels initiierte Signale der Macht als wissenschaftlicher Experte und Co-Kurator.

DR. DES. MÈHÈZA KALIBANI (wissenschaftlicher Berater)

Mèhèza Kalibani ist Kurator für koloniale Vergangenheit und postkoloniale Gegenwart bei der Stiftung Historische Museen Hamburg und wissenschaftlicher Berater für „Signale der Macht“. Er promovierte an der Universität Tübingen mit Schwerpunkt auf Postcolonial Studies, Dekolonialität in Archiven und Museen sowie koloniales Erbe.
Seine Forschung, darunter die Masterarbeit „Das koloniale Ohr“, untersucht kritisch Tonarchive aus der Kolonialzeit und zeigt, wie die Sammlung nichtweißer Stimmen koloniale Machtstrukturen festigte, statt rein akademischen Zwecken zu dienen.

DR. PATRICE KODZO ABOTSI (wissenschaftlicher Berater)

Dr. Patrice Kodzo Abotsi hat an der Université de Lomé in Togo German Studies und Erziehungswissenschaften studiert. Er ist Mitglied der Forschungsgruppe LIGA (Lettres, Littératures et Identités Germano Africaines) und forscht u.a. zum antikolonialen Widerstand in Togo. Er hat an mehreren Austauschprogrammen in Deutschland an den Universitäten Bremen, Bayreuth und Tübingen teilgenommen. Seit März 2025 arbeitet er im togoischen Ministerium für Tourismus als Übersetzer und Berater für die Aufwertung historischer Stätten in Togo. Er begleitete das Projekt „Signale der Macht“ als wissenschaftlicher Berater.

JULIANE JASCHNOW (Regie Videonarrationen)

Juliane Jaschnow ist Filmemacherin und Künstlerin. Ihre Arbeiten thematisieren zeitgenössische und historische Bildpolitiken sowie kollektive Narrative, Erinnerungsprozesse und deren identitätsstiftende Dimension. Sie ist Mitglied der Filmischen Initiative Leipzig FILZ, Mitbegründerin und Kuratorin des .mpeg art space und Teil der Initiative Kino in Bewegung. Derzeit hat sie einen Lehrauftrag an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Für „Signale der Macht“ übernahm sie die visuelle Recherche und Regie der Videonarrationen.

FUNKTECHNIK ALS INSTRUMENT IMPERIALER KONTROLLE

Die Großfunkstationen in Nauen, Kamina und Windhoek waren Anfang des 20. Jahrhunderts Meilensteine der Selbstinszenierung des Deutschen Kaiserreiches als technologische Führungsmacht. Mithilfe der Firma Telefunken sollte ein weltumspannendes Telekommunikationsnetzwerk entstehen, das vor allem machtpolitische, wirtschaftliche und militärstrategische Ziele verfolgte. Die Vorherrschaft in der Funktechnologie sicherte zudem die störungsfreie Durchsetzung von hegemonialen und rassistischen Narrativen, die in den Gesellschaften bis heute nachwirken.

Der Ausbau der Funkstationen in den Kolonien wurde oft als Vorteil für die lokalen Bevölkerungen gerechtfertigt und propagiert. Die Idee, dass Funknetze auch „zivilisatorische Errungenschaften“ mit sich bringen würden und den Austausch von Wissen und Handel erleichterten, war ein fester Bestandteil kolonialer Rechtfertigungsstrategien. Die Kontrolle über die Funkkommunikation lag jedoch ausschließlich bei den Machthabern, die sie gezielt zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen nutzten. Die Großfunkstelle im Brandenburgischen Nauen gilt als die älteste noch aktive Funkstation der Welt und spielte eine Schlüsselrolle bei der transkontinentalen Funkkommunikation zwischen Deutschland und seinen Kolonien. In Afrika zerstörten die Deutschen Kolonialherren nach Ausbruch des ersten Weltkrieges die Sendestationen, um zu verhindern, dass die wertvolle Technologie nach ihrem Abzug in feindliche Hände fällt. In Kamina und Windhoek sind von der einstigen Hochtechnologie heute nur noch Ruinen sichtbar, während die Großfunkstelle in Brandenburg sich zur größten Nachrichtensendestation des Kontinents entwickelte und Nauen den Beinamen heute als „Funkstadt“ trägt.

DREI GESCHICHTEN, DREI PERSPEKTIVEN, EIN DIALOG

Alle drei Orte, Nauen, Kamina und Windhoek werden durch künstlerische Arbeiten und kuratorische Positionen behandelt, um einen vielschichtigen Dialog über koloniale Narrative, Technologie und Erinnerungskultur zu erzielen. Kontextualisiertes Archivmaterial und Neuproduktionen von Künstler:innen aus Togo, Namibia und Deutschland wollen anregen, über Funktechnologie als Teil eines gemeinsamen Erbes nachzudenken. Ungehörte Stimmen der kolonialen Vergangenheit kommen zu Wort, um eine Erinnerungskultur zu gestalten, die eine Brücke baut. Zwischen Nauen, Kamina und Windhoek entsteht im Rahmen dieser Ausstellung 110 Jahre nach der Inbetriebnahme dieses ersten globalen, interkontinentalen Telekommunikationsprojektes eine neue Verbindung. Sie ist eine Einladung, die Verknüpfungen von Technologie, Kolonialgeschichte und Erinnerung aus neuen Perspektiven zu betrachten und zu hinterfragen.

DREI KÜNSTLERISCHE WERKE

TULI MEKONDJO

Film und Installation: Ondelekelama oya longifwa momadipao
ehena nghenda: Telegraphy as a Genocidal Tool

[Telekommunikationstechnologie wurde ohne Gnade bei Massakern eingesetzt: Telegrafie als Werkzeug des Völkermords]

(Der Satz „Ondelekelama oya longifwa momadipao ehena nghenda“ ist in Oshiwambo, einer Sprache, die im nördlichen Namibia gesprochen wird.)

In ihrer Videoinstallation erforscht die namibische Künstlerin Tuli Mekondjo die historischen und gegenwärtigen Machtbeziehungen zwischen Deutschland und Namibia durch rituelle Performances an den Standorten der ehemaligen und heutigen Großfunkstellen in Windhoek und Nauen. Durch Film, Performances und Textilarbeit bietet Mekondjo Wege eines archivarischen Bildtransfers an, um neue Verwebungen zwischen Erinnerungen zu schaffen. Tuli Mekondjo ist die erste namibische Person, die die Großfunkstelle Nauen und das Telefunken Archiv in Berlin im Rahmen des Projektes Signale der Macht im Jahr 2024 besucht hat. 2025 hat sie am ehemaligen Standort des Senders in Windhoek eine parallele Performance durchgeführt. Durch ihre körperliche Präsenz an beiden Orten schafft die Künstlerin eine symbolische Neuverbindung dieser historisch belasteten Räume. Die Videoaufnahmen sind bewusst so gedreht und ausgewählt, dass für den Betrachter beide Orte miteinander verschmelzen.

Mit der korrespondierenden Installation hat Mekondjo eine Textilarbeit in Form eines kontemplativen Raums erschaffen. Auf Spitze hat sie die Verbindungslinien der Telekommunikationswege aus alten Karten auf die Stoffbahnen gestickt und diese mit Archivfotografien und Karten aus dem Archiv der Firma Telefunken verwoben.

Mit dieser Arbeit schafft Tuli Mekondjo ein kraftvolles Statement über die Möglichkeiten künstlerischer Praxis, Erinnerungskultur und historische Traumata zu bearbeiten.

„Wir leben alle in derselben Welt. Aber wir leben nicht auf derselben Frequenz.“ Tuli Mekondjo

 

TULI MEKONDJO

Tuli Mekondjo, geboren 1982, ist eine namibische Künstlerin, die sich mittels Mixed-Media Arbeiten mit kolonialen Traumata befasst. Ihre Arbeiten kombinieren Archivfotografien, Videos, Stickerei und Malerei. 2022 – 2023 war sie DAAD-Stipendiatin und erhielt 2023 den Norval Sovereign African Art Prize. Sie lebt und arbeitet in Windhoek.

KRISTINA TSCHESCH

Kristina Tschesch ist freie Filmemacherin, Fotografin, Moderatorin und Historikerin mit besonderem Interesse an Kunst, Kultur, Erinnerung, Zukunft, Gesellschaftsentwicklung, Musik, Architektur und Nachhaltigkeit.
Ihre Produktionsfirma 414films veröffentlichte die Dokumentation Schrott oder Chance – Ein Bauwerk spaltet Potsdam zur Abrissdebatte rund um die DDR-Moderne in Potsdam.

Credits:

Tuli Mekondjo: Ondelekelama oya longifwa momadipao ehena nghenda *
Telegraphy as a Genocidal Tool

[Telekommunikationstechnologie wurde ohne Gnade bei Massakern eingesetzt: Telegrafie als Werkzeug des Völkermords] 2025

Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Installation mit Videoprojektion, Farbe, Ton, 23 Min., Loop, Stickerei auf bedrucktem Stoff mit Archivfotografien, Maße variabel

Konzept und Performance: Tuli Mekondjo
Kamera und Tonaufnahme in Nauen Camera and sound

Kamera und Tonaufnahme in Windhoek: Dewayne Goagoseb

Drohnenkamera in Windhoek: Darryn February

Schnitt: Kristina Tschesch
Farbkorrektur und Tonpostproduktion: Kristina Tschesch

Beratung für Konzept: Dieter Daniels

Besonderer Dank an Choolwe Siachoono (UNAM Radio Windhoek), Matthias Quolke (MediaBroad-cast Nauen), Frederike Moormann

 

MADJÉ AYITÉ

Film „Fragmente“

Im Dokumentarfilm Fragmente geht Regisseur Madjé Ayité der Geschichte der Großfunkstation Kamina in Togo, Nauen, Ljubljana und Paris nach. Die hier gezeigten zwei Kapitel fokussieren auf die Drehorte in Togo und Nauen und sind für diese Ausstellung neu zusammengestellt. In Nauen besichtigte das Filmteam die noch heute existierende Sendestation. In Togo sammelte es mündliche Überlieferungen, unter anderem vom 80jährigen Herrn Dekpé, dem letzten Hüter der Kamina Geschichte. Er erzählte von einem Gerücht über vergrabene Waffen unter dem versiegelten Stationsfundament. Der inzwischen verstorbene Professor Amégan sprach über das Geheimnis der Zerstörung der Station: „Was bedeutete es‚ die Station unbrauchbar zu machen‘?“ Wichtig für die Recherche war auch Jutta Niemann, die Enkelin des Filmemachers Hans Schomburgk, der die Station 1913 filmte. Sie besitzt Bildrechte und Dokumente zur Geschichte Kaminas.

„Manche Geschichten wurden nie erzählt – nicht, weil sie vergessen wurden, sondern weil sie unbekannt sind. Ich habe mich auf die Suche gemacht, um sie zu finden.“ Madjé Ayité

MADJÉ AYITÉ

Madjé Ayité ist ein togolesischer Filmemacher und produziert Dokumentarfilme über koloniale Erinnerung. Ausgebildet wurde Ayité in digitaler Kinematografie am französischen Institut national de l’audiovisuel (INA), das französische Rundfunk und Fernsehproduktionen verwaltet und öffentlich zugänglich macht. Als Produzent hat er mehrere große Projekte betreut, darunter Togoland Projektionen und Sanou, Terre Jaune.

SITOU AYITÉ

Sitou Ayité ist eine togolesische Filmemacherin. Sie arbeitet als Drehbuchautorin und Produzentin. 2008 verfasste sie das Drehbuch für den Spielfilm La bataille des absents, der in Togo produziert und auf mehreren Festivals präsentiert wurde. 2022 – 2023 war Sitou Ayité als Co-Produzentin an dem Projekt Togoland Projektionen beteiligt.

Credits:

Madjé Ayité: Fragmente 2019/2025

Produziert in Zusammenarbeit mit Sitou Ayité.

Mit freundlicher Genehmigung der Künstler:innen

Zwei Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Fragmente (2010 – 2019, 52 Min.) präsentiert als Videoinstallation auf Monitoren, HD, Farbe, Ton

1. Togo, 11:05 Min.

2. Deutschland, 8:20 Min.

 

FREDERIKE MOORMANN & ANGELIKA WANIEK

Installation: Verbundenheit. Von Windhoek nach Kamina nach Nauen

Eine multimediale Installation entlang von Orten, die sich nicht mehr empfangen

Gräser, Antennen, Steine. Musiker:innen spielen gegen alte und neue Infrastrukturen an. Die Felder rund um drei alte Funkstatio nen, ehemals miteinander verbunden, wehen im Wind. „Wir haben recherchiert. In den Archiven in Windhoek und in Berlin. In den Archiven der Firma Telefunken. Etwas erscheint uns nicht richtig.“ In Togo und Namibia sind von den Funkstationen nur noch Ruinen übrig. Während in Deutschland einige wenige verbleibende Mitarbeiter:innen weiterhin überall hinsenden. Heute fliegen tausende Satelliten durchs All, die uns auch ermöglichen zu recherchieren, uns miteinander zu verbinden. „Wir bewegen uns buchstäblich von einem Raum, einem Planeten zum nächsten, um möglichst viel zu zerstören, nicht um zuheilen. Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt etwas heilen wollen.“ Die Installation eröffnet einen transkulturellen Dialog zwischen den drei Orten, die gewaltvoll miteinander verbunden waren.

ANGELIKA WANIEK

Angelika Waniek erforscht koloniale Telekommunikationsgeschichte durch Performance und Audioinstallationen. Wanieks Arbeiten entstehen mit einer internationalen Gruppe von Künstler:innen. Seit 2019 arbeitet sie mit Tuli Mekondjo und Frederike Moormann an Projekten zur deutschen Telegrafeninfrastruktur in Namibia. Sie lebt in Leipzig und lehrt dort an der Hochschule für Grafik und Buchkunst.

FREDERIKE MOORMANN

Frederike Moormann ist Klang und Radiokünstlerin mit einem Fokus auf Kolonialgeschichte und Audiotechnologie. In ihrer Arbeit widmet sie sich der Materialität und körperlichen Erfahrung von Audiotechnologien. Sie untersucht die Rolle von Medientechnologien in kolonialen und postkolonialen Kontexten mittels innovativer Klangkunstprojekte. Moormann ist künstlerische Mitarbeiterin am Experimentellen Radio der Bauhaus Universität Weimar.

FATI FOUSSENI

Fati Fousseni, eine renommierte togolesische Geschichtenerzählerin, erzählt auf Französisch und rund einem halben Dutzend afrikanischer Sprachen. Sie ist Direktorin des Festivals Voix des Reines in Lomé, organisiert Erzählveranstaltungen für Kinder, leitet Workshops im Espace Digore und moderiert die TVTSendung Otoukpa. 2012 veröffentlichte sie mit Gnim Atakpama Encre indélébile.

„Stell dir das riesige Netz aus 10.000 Satelliten vor, die um uns herum kreisen. Alles hier unten ist mit dem Himmel und über dem Himmel mit dem Weltall verbunden.“ Frederike Moormann & Angelika Waniek

Credits:

Frederike Moormann & Angelika Waniek: Verbundenheit. Von Windhoek nach Kamina nach Nauen

Eine multimediale Installation entlang von Orten, die sich nicht mehr empfangen, 2025

Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerinnen

Eine Video- und Soundinstallation von Frederike Moormann & Angelika Waniek. Basierend auf Zusammenarbeiten mit Nashilongweshipwe Mushaandja. Mit einem Beitrag von Fati Fousseni.

Radiogeräte, Kopfhörer, Transmitter, iPads, Lautsprecher, Sand, Maße variabel

Texte: Léonard Yakanou, Angelika Waniek, Frederike Moormann

Musik: Robert Machiri, Luka Mukhavele, Gundolf Nandico, Kako Sanogo

Mit Aufnahmen von: Frederike Moormann, Lefteris Krysalis, im O-Ton: Harald Hauschildt, Christopher Vasko, West Uarije, Tuli Mekondjo, Fam. Schulz und ihre Schafe

Stimmen: Nashilongweshipwe Mushaandja, Angelika Waniek, Fati Fousseni

Outside Eye Outside eye: Mèhèza Kalibani

Dank an: Nora Frohmann

Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch

Ein begleitendes Workbook ist 2023 beim Akono Verlag erschienen. „From Windhoek to Kamina to Nauen“ dt./eng./fr. Ger./Eng./Fr.

Mit Beiträgen von Mèhèza Kalibani, Tuli Mekondjo, Dieter Daniels, Frederike Moormann, Frieda Mukufa, Nashilongweshipwe Mushaandja & Angelika Waniek

KURATORISCHE VISUALISIERUNGEN: VIDEONARRATION UND ARCHIVWAND

Die beiden kuratorischen Visualisierungen (Videonarrationen, chronologische Archivwand) basieren weitestgehend auf Archivmaterial, insbesondere dem Telefunken Fundus im Technischen Museum Berlin, dem National Archive Namibia und Archiven in Togo. Hinzu kommen Quellen aus zeitgenössischen Publikationen, insbesondere durch Telefunken in ihrer firmeneigenen Zeitschrift und den Jahrbüchern. Eine wichtige Grundlage waren wissenschaftliche Forschungen des letzten Jahrzehnts u. a. von Peter Sebald und Reinhard Klein Arendt.

WINDHOEK-KAMINA-NAUEN

Drei Videonarrationen zum Nachlesen *

* Die Texte geben den Wortlaut der in der Ausstellung gezeigten Videonarrationen wieder. Gelegentliche Wiederholungen sind deshalb unverändert beibehalten.

WINDHOEK

Auf den Bergen über Windhoek in Namibia stehen noch heute, mehr als hundert Jahre später, die stummen Zeugen einer technischen Revolution – die spärlichen Überreste einer Großfunkstation der ehemaligen deutschen Kolonie „Deutsch Südwestafrika“. Was heute als historische Ruine am Stadtrand von Windhoek kaum wahrgenommen wird, war einst die Spitze moderner Kommunikation und zugleich Machtinstrument kolonialer Unterdrückung.

Die Großfunkstation Windhoek war Teil eines imperialen Kommunikationsnetzes, mit dem die Firma Telefunken das Deutsche Reich mit seinen Kolonien verbinden sollte. Detaillierte Baupläne dokumentieren den beachtlichen Aufwand für die Station. Die harten Bauarbeiten wurden – wie in Togo – von unterbezahlten oder zwangsverpflichteten Einheimischen ausgeführt. Im Dezember 1913 wurde der erste von fünf geplanten Funktürmen fertiggestellt. Am 13. März 1914 gelang das scheinbar Unmögliche: Die erste Funkverbindung zwischen der Großfunkstelle Nauen bei Berlin und Windhoek wurde hergestellt – über eine Distanz von 8350 Kilometern. Eine Strecke, die sogar die Verbindung zwischen Nauen und New York um fast 2000 Kilometer übertrifft. Ein technischer Rekord, der selbst die britische Konkurrenz beeindruckte. Von Windhoek aus wurde die gesamte Kolonie – ebenso wie in Togo – durch ein komplexes Netz von Telegrafie und Telefonverbindungen sowie weitere Funkstationen an der Küste in Echtzeit an das Deutsche Reich angebunden. Im Stadtbild von Swakopmund stehen bis heute drei große Ankertürme für den Funkmast. Ohne einen Hinweis auf ihre ehemalige Funktion wirken sie wie Sockel ohne ein Denkmal.

Am 2. August 1914 erreichte eine schicksalhafte Nachricht Windhoek: Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Die Meldung kam über die Funkstation Kamina in Togo. Alle Funkstationen in den Kolonien wurden mit sofortiger Wirkung dem Militär unterstellt und Telefunken de facto enteignet. Befehle zur Mobilmachung wurden übermittelt, militärische Informationen mit deutschen Kriegsschiffen und anderen Kolonien wie Tansania (damals „Deutsch-Ostafrika“) ausgetauscht. Als die Funkstation Kamina am 26. August 1914 von abziehenden deutschen Truppen gesprengt wurde, verlor Windhoek seine zentrale Rolle in einem globalen Kommunikationssystem. Ab September 1914 wurden sukzessive alle Funkstationen in Namibia von den Alliierten besetzt und – so wie in Togo – zuvor von den abziehenden deutschen Truppen zerstört. Am 12. Mai 1915 wird auch die Station in Windhoek gesprengt und – im Unterschied zu derjenigen in Kamina – fällt sie damit in Vergessenheit.

Ein anderes Ereignis der deutschen Kolonialherrschaft ist jedoch bis heute tief im kollektiven Gedächtnis Namibias verankert: der Vernichtungsfeldzug, der in den Jahren 1904 – 1908 auf Seiten der ihr Land verteidigenden Ovaherero und Nama 50.000 – 70.000 Leben kostete.

Was für die deutschen Militärs ein technologischer Vorteil war, bedeutete für die Ovaherero und Nama eine tödliche Bedrohung. Die drahtlose Kommunikation ermöglichte der Kolonialmacht die präzise Koordination ihrer Truppen über große Entfernungen hinweg. Diese Signale trugen zur Eskalation der Gewalt bei, die in einen der ersten Völkermorde des 20. Jahrhunderts mündete.
Unter dem berüchtigten Kommandeur Lothar von Trotha kommt die neue Technik zum Einsatz, und in seinem Bericht zur Schlacht heißt es: „Sehr gut sind die Leistungen der Funkentelegraphie gewesen. Sie erwies sich als ein durchaus kriegsbrauchbares Mittel einem Gegner gegenüber, der selbst nicht über Funkenstationen verfügt …“
Ein Jahr später, im Juni 1905, verdeutlicht von Trotha die kriegsentscheidende Bedeutung: „Nach Waterberg habe ich nach Berlin berichtet: Ohne die Feldsignal Abteilung hätte ich die Operationen überhaupt nicht und ohne die Funkenabteilung nur sehr schwer durchführen können.“ Das mobile Funken war technisch und finanziell sehr aufwendig. Ein Luftdraht wurde bei Wind an einem Drachen befestigt, bei Windstille an kleinen Ballons. Als Gegengewicht diente ein Kupferdrahtnetz. Innerhalb von nur 15 Minuten konnte eine solche Station aufgebaut und in Betrieb genommen werden. Die Funkkarren wurden von acht Ochsen gezogen, die größeren Funkwagen sogar von 20 Ochsen. Wasserstoff für die Ballons musste aus Bitterfeld in Deutschland importiert werden. Doch der militärische Nutzen rechtfertigte für die Kolonialherren jeden Aufwand.
Auch diese mobilen Stationen wurden von Telefunken hergestellt und speziell für diesen Einsatz geliefert. Ein Jahrzehnt bevor die Großsendestation in Windhoek 1914 errichtet wurde, erhielt die drahtlose Technik laut damaligen Berichten ihre „Feuertaufe“. Dies war der Präzedenzfall, der den weiteren Ausbau der Station Nauen in Gang setzte – bis hin zur „Aufrichtung eines Weltfunknetzes“ wie es Hans Bredow noch 1920 in der Festschrift zur Eröffnung des Muthesius Baus für die Großfunkstelle formulierte. Auch nach Ende der deutschen Kolonialherrschaft wurde diese imperialistische Rhetorik weitergeführt. Erst ab den 2000er Jahren wird auch in der Bundesrepublik der Begriff Völkermord für diese bis dahin beispiellose Gewalttaten verwendet. Eine offizielle Entschuldigung erfolgt
erstmals 2004 durch die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek Zeul bei den Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg. Die erinnerungspolitischen Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland zogen sich von 2015 bis 2021 hin. Sie mündeten unter anderem in einem deutschen Hilfsprogramm in Höhe von 1,1 Milliarden Euro, dass vor allem den besonders vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften zugutekommen soll. Auch diese Vereinbarung bleibt umstritten. Bisher weitgehend unbekannt ist jedoch, welche entscheidende Rolle die drahtlose Kommunikation in diesem brutalen Kolonialkrieg spielte.

Die Überreste der Großfunkstation Windhoek sind somit mehr als nur historische Relikte. Sie bleiben Mahnmale einer komplexen Vergangenheit, die uns auffordern, die Rolle von Technologie in kolonialen Kontexten kritisch zu hinterfragen. Denn auch heute noch bestimmt Kommunikationstechnologie, wer gehört wird und wer verstummen muss – wer die Macht hat und wer machtlos bleibt.

KAMINA

Mitten in Togo, einer ehemaligen deutschen Kolonie in Westafrika (damals unter dem Namen „Togoland“), wurde vor über 100 Jahren eine bahnbrechende Funkstation errichtet: Kamina. Sie sollte Deutschland mit seinen Kolonien verbinden und Nachrichten über tausende Kilometer hinweg senden. Doch ihr Betrieb war nur von kurzer Dauer – und ihre Geschichte wurde durch den Ersten Weltkrieg besiegelt. Am 7. Juni 1911 kam erstmals eine Funkverbindung zwischen den Funkstationen in Kamina und in Nauen bei Berlin zustande, für die in Togo eine Antenne provisorisch per Fesselballon in Position gebracht wurde. Daraufhin erhielt die Firma Telefunken den Auftrag zum Ausbau einer dauerhaften Station. Aus strategischen Gründen wurde der Ort Kamina im Hinterland

Togos gewählt, um den Sender dem Zugriff feindlicher Marine zu entziehen. Die Errichtung an diesem entlegenen Ort erforderte aufwendige Infrastrukturen, unter anderem den Bau einer eigenen Bahnlinie, von Telegrafenlinien – und vor Ort von Straßen und Brunnen. Eine riesige Fläche wurde gerodet, Bäume abgeholzt und neun gewaltige Funktürme errichtet. Aufgrund der Entscheidung, Brennholz statt Kohle als Energiequelle zu nutzen, kam es zur massiven Abholzung der ohnehin spärlich bewaldeten Region. Dies hat bis heute ökologische Auswirkungen. Die Arbeit erfolgte unter unmenschlichen Bedingungen: Einheimische Arbeiter wurden zwangsverpflichtet oder erhielten extrem niedrige Löhne und mussten unter härtesten Bedingungen schuften. Während deutsche Handwerker angemessen bezahlt wurden, erhielten auch afrikanische Facharbeiter nur einen Bruchteil des Gehalts. Ohne ihren Einsatz wäre das Projekt nicht realisierbar gewesen – doch ihr Beitrag wird in den offiziellen Berichten kaum erwähnt. Völlig ignoriert wird bis heute auch die Rolle der togolesischen Frauen, die ihre Männer begleiten mussten, um deren Verpflegung sicher zu stellen. Die Leitung der Bauarbeiten und der Station übertrug Telefunken dem Ingenieur Baron Anton Freiherr Codelli. Dieser war ein passionierter Fotograf, und auf seine Einladung hin drehte auch der Filmpionier Hans Schomburgk in Kamina einen Film. Das ausgesprochen umfangreiche visuelle Material umfasst hunderte von Fotografien und eine mehrmonatige Filmdokumentation. Der Bau des Senders Kamina gehört deshalb zu den am besten dokumentierten Ereignissen der deutschen Kolonialzeit.

Die Funkstation Kamina hatte die gleiche Reichweite wie Nauen und ermöglichte eine direkte, dialogische Kommunikation. Umfangreiche Verträge mit dem Deutschen Reich sollten für Telefunken die Rendite für die Vorfinanzierung des Baus der Sendestationen in Kamina und Windhoek über eine langfristige staatliche Nutzung absichern. Der Erste Weltkrieg verkürzte die Laufzeit dieser Verbindungen allerdings auf einige Wochen. Als sich französische und britische Truppen näherten, gab Deutschland den Befehl zur Zerstörung der eigenen Technik. In der Nacht vom 24. auf den 25. August 1914 wurde die gesamte Anlage gesprengt. Eine der modernsten Funkstationen der Welt, aufgebaut mit enormen Kosten und unter schwersten Bedingungen für die kolonisierte Bevölkerung, war nach kurzem Betrieb nur noch ein Trümmerfeld. Die deutsche Kolonialherrschaft in Togo endete wenige Tage später mit einer Kapitulation.

Nach ihrer Fertigstellung betrug die reguläre Laufzeit der Station Kamina nur drei Wochen, vom 1. bis 24. August 1914. Dennoch hatte sie historische Bedeutung: Mit Ausbruch des Krieges wurden über 229 Telegramme verschickt –Warnmeldungen, die zum Beispiel deutsche Handelsschiffe vor feindlichen Angriffen schützten.

Telefunken verwendete noch bis in die 1980er Jahre eine Illustration, die den Anschein einer historischen Fotografie erweckt (diese zeigt Togolesen als Funker in Uniform), zur propagandistischen Rechtfertigung ihres verlustbringenden imperialen Engagements. Denn die Investitionen von mehr als zehn Millionen Reichsmark für die Stationen in Kamina und Windhoek bleiben für Telefunken verloren. Jedoch dienten sie der Firma als Beweis für die Machbarkeit interkontinentaler Funkverbindungen. Dies belegt der imposante Neubau der Station Nauen: Dass der Muthesiusbau mitten im Ersten Weltkrieg geplant und gebaut wurde, zeigt die gestiegene Bedeutung des internationalen Funkverkehrs während des Kriegs. Nach dem Krieg diente er als repräsentative Kulisse für die Akquise internationaler Aufträge.

In Kamina stehen heute nur noch die Ruinen der Sendestation. Doch in Togo lebt ihre Geschichte weiter: Wissenschaftler:innen an der Universität Lomé erforschen ihre Bedeutung, und der Standort ist ein touristisches Ziel und wichtiger Ort der Erinnerung geworden. Auch für die togolesischen Arbeitenden, welche die Station gebaut haben. In Deutschland wurde Kamina zunächst primär als technisches Meisterwerk betrachtet. Filme, Ausstellungen und Bücher befassen sich mit der Geschichte der Station. Die dunklen Kapitel – die Zwangsarbeit, die koloniale Ausbeutung – stehen dabei nicht im Zentrum des Interesses.

Erst in den letzten Jahren beginnt eine kritische Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Historische Archive offenbaren Bilder der Zwangsarbeit und Dokumente, die die unmenschlichen Arbeitsbedingungen belegen. Seit 2006 bestehen Überlegungen der togolesischen Regierung zur Einrichtung eines Museums in der ehemaligen deutschen Funkstation Kamina.

NAUEN

Die Großfunkstelle Nauen gilt als die älteste noch aktive Sendestation der Welt und sendet seit 1906 ununterbrochen ihre Signale. Als die ersten Funktelegramme aus Nauen gesendet wurden, war das Telefon noch eine Seltenheit, Radioprogramme für Privathaushalte gab es nicht, und an Fernsehen oder gar Internet war nicht zu denken. Die drahtlose Kommunikation war eine revolutionäre Spitzentechnologie – vergleichbar mit der Einführung des Internets in unserer Zeit. Nauen bildete zusammen mit den Sendern in Königs Wusterhausen und Eberswalde ein brandenburgisches Telekommunikations-Dreieck – die Wiege des deutschen Rundfunks und weltweiter drahtloser Kommunikation. Die Geschichte beginnt 1906, als die Firma Telefunken auf einem weitläufigen Gelände von 40.000 Quadratmetern einen 100 Meter hohen Sendemast und ein Fachwerkhaus errichtete.

Der große Durchbruch kam 1911: Mit einem auf 200 Meter erhöhten Sendemast konnte erstmals eine Nachricht bis nach Kamina in die damalige deutsche Kolonie Togo gesendet

werden – über eine Strecke von 5.000 Kilometern! Anfang 1914 erreichte man über diese Verbindungsstation sogar die Funkstation in Windhoek im heutigen Namibia, damals deutsche Kolonie „Deutsch Südwestafrika“.

Diese Verbindungen nach Togo und Namibia wurden von Telefunken im Auftrag des Deutschen Reiches aufgebaut. In der Planung befand sich eine Erweiterung nach Tansania und von dort nach Kiautschou (Jiaozhou Bucht, China) und Samoa (Malo Kaisalika auf Samoanisch), um so alle deutschen Kolonien in einem Netzwerk zu verbinden.

Die Nachricht vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs erreichte die Kolonialadministration in Windhoek am 2. August 1914 aus Nauen über Kamina – ein Signal, das die Geschichte der Kolonien erneut verändern sollte. Die Funktechnik gewann im Krieg enorm an Bedeutung.

Anders als Seekabel konnte sie nicht einfach durchschnitten werden. Von Nauen aus kommunizierte man mit Hochseeschiffen und sogar mit U-Booten. Doch die Vision eines weltumspannenden deutschen Kommunikationsnetzes scheiterte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Um diese wertvolle Technologie nicht den englischen und französischen Truppen zu überlassen, zerstörten die deutschen Kolonialbeamten vor ihrem Abzug die Sendestationen in Afrika vollständig.

In Nauen wurde die technische Entwicklung jedoch weiter vorangetrieben. Nach dem Krieg wurde die Anlage massiv erweitert: zwei 260 Meter hohe und vier 125 Meter hohe Masten wurden errichtet. 1920 weihte der Reichspräsident ein repräsentatives neues Gebäude ein, entworfen vom berühmten Architekten Hermann Muthesius – eine Art von „Kathedrale der Hochfrequenz“. Nauen wurde zur größten Nachrichtensendestation des Kontinents. Auch nach Ende der Verbindungen nach Afrika betont Telefunken die interkontinentale Reichweite mit dem Schriftzug „Drahtloser Übersee Verkehr“, der heute entfernt ist. Das Einzige, was heute noch darauf hinweist, ist ein Relief mit Bezug auf Afrika: Zwei männliche Aktfiguren vollziehen einen Handschlag, genau zwischen ihnen zeigt ein Globus den afrikanischen Kontinent.

Die Telekommunikationstechnologie entwickelte sich rasant weiter. 1924 kam die günstigere und effektivere Kurzwellentechnik hinzu, und bald erreichte der Sender sogar Buenos Aires in Südamerika. Die Welt kam näher durch die Signale aus Brandenburg. In der NS-Zeit diente die Station erneut der Machtausübung und Propaganda; von hier wurde unter anderem weltweit über die Olympischen Spiele 1936 berichtet. Und im Zweiten Weltkrieg wurde ein Störsender gegen die englischen Luftangriffe eingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Station zunächst von sowjetischen Truppen besetzt, welche die gesamte technische Einrichtung in die Sowjetunion abtransportierten. Eine geplante Sprengung konnte verhindert werden.

In der DDR erlebte die Sendestation Nauen eine Wiedergeburt. Ab 1952 wurde die Kurzwellentechnik neu aufgebaut und erweitert. 1956 wurde sie zu einem selbständigen Funkamt für die Kommunikation mit und für Radiosendungen bis nach Moskau, Peking oder Tokio.

Seit 1959 sendete von hier „Radio Berlin International“, später der Sender „Demokratischer Rundfunk“ und nach 1990 die „Deutsche Welle“. Ende 1990 wurde das Funkamt dem Fernmeldeamt Potsdam der Deutschen Bundespost angegliedert. Sowohl zu DDR-Zeiten als auch bis heute werden Radio und Fernsehprogramme von Nauen nach Afrika gesendet. Zuerst an sogenannte sozialistische Bruderländer, heute im öffentlich-rechtlichen und im kirchlichen Auftrag.

Durch die Privatisierung der Bundespost ging das gesamte Areal der Sendestation Nauen 1995 an die Deutsche Telekom. Seit 2008 gehört es der Firma Media Broadcast und wird auf digitale Steuerung umgestellt. Unter der technischen Leitung des Ingenieurs Matthias Quolke, der seit den 1980er Jahren in der Station arbeitet, sendet Nauen nach wie vor weltweit klassische analoge Radioprogramme. Noch im Jahr 2024 sind 113 Frequenzbuchungen im Sendeplan eingetragen. Doch die „Deutsche Welle“ reduziert ihr Programm in afrikanischen Sprachen – während christliche Programme für Afrika inzwischen einen Hauptteil der Sendungen darstellen.

Das Image der „Funkstadt Nauen“ ist durch die Sendestation geprägt. Diese Bezeichnung findet sich heute auf der Webseite der Stadt, im Namen von zwei Sportvereinen und sogar des lokalen Penny Markts. Doch die koloniale Verbindung der Station und ihre Nachwirkungen bis heute werden dort nicht thematisiert. Das Areal ist denkmalgeschützt, aber einen regulären Zugang zum aus Sicherheitsgründen hermetisch abgeschirmten Sendegelände gibt es für die Öffentlichkeit nicht. Die Telekommunikation, die aus Nauen maßgeblich über Jahrzehnte kontrolliert wurde, ist in ihrem Ursprung eng mit der Kolonialgeschichte verknüpft. Und dennoch ist diese Verbindung bis heute ein weitestgehend unbekanntes Kapitel in der deutschen und brandenburgischen Geschichtswahrnehmung.

Die Filme zur Ausstellung „Signale der Macht“ können via YouTube hier eingesehen werden:

Die Videonarrationen und weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Brandenburg Museums:

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Andrea Glaß
Presse und Öffentlichkeitsarbeit

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Seitenprofil einer weiblichen Person mit einem rituellen Wedel und einer Trillerpfeife im Mund vor einem begrünten Gelände.
Tuli Mekondjo_2024_in Nauen bei einer rituellen Performance_Fotocredit Kristina Tschesch

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Tuli Mekondjo_2024_in Nauen bei einer rituellen Performance_Fotocredit Kristina Tschesch

Begleitheft "Signale der Macht" Deutsch und Englisch

Cover Begleitheft Signale der Macht, Design: TaTrung
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Bilder Ausstellung "Signale der Macht"